An einen an unbekandte Oerter gereißten Freund. M.

[192] Mein Freund diß Schreiben soll/ wohin? ich weiß nicht gehn.

Die Zeilen sind gemacht/ ich aber kan nicht wissen/

Ob diese treue Schrifft dein Auge werde sehn/

Und ob ich auch von dir die Antwort werde küssen.

Die Freundschafft saget ja/ die Furcht spricht aber nein.

Die Hoffnung tröstet mich/ dein Abseyn schlägt mich nieder.

Ein jeder schließt mit mir: Es kan unmöglich seyn/

Daß H – – unser Freund noch lebt/ und kömt nicht wieder.

Denn ist dein Lieb nicht todt/ warum erstirbt die Pflicht/

Womit du dich so mir/ als andern verbunden?[192]

Erinnert denn dein Hertz sich unsrer Freundschafft nicht?

Vergißt du – – – und die geliebten Stunden?

Die dich mit Ambra Safft und vieler Lust gespeißt/

Darnach du oftermahls in zwey biß dreyen Tagen/

Mit höchsten Appetit fünf Meilen bist gereißt?

Was wilst du mir hierauf/ mein Freund/ zur Antwort sagen?

Jedoch ich hör es schon: daß viel Verdrüßlichkeit/

Die Rechnung/ Geld/ und Dienst dich abgehalten haben:

Daß die Verrichtung nicht zum Schreiben welche Zeit/

Und dein entfernter Ort zum Schicken Anlaß gaben.

Doch die Entschuldigung hält warlich keinen Stich:

Gesetzt/ du hättest oft viel Zorn in dich gefreßen/

Es gienge mehrentheils dein Vorsatz hinter sich/

Du hättest manchen Tag am Rechen-Tisch geseßen:

Es gienge keine Post von deinem Städtgen ab:

So suchst du doch darum/ aus Zorn und Wieder-Willen/

Kenn ich dich anders noch/ nicht vor der Zeit das Grab.

Du fängst/ wie mich bedünckt/ nicht gern unnütze Grillen.

Das Glücke lachst du aus; du spottest allen Neid.

Das Rechnen fliehest du/ und eilfe bleibt gerade;

Das Facit komt bey dir auf lauter Höflichkeit.

Hast du nicht was du wilst? es ist darum nicht schade:

Das Glücke kömt nicht gleich/ es ist noch zeit genung:

Dein artig Wesen wird dich bald mit Ehren zieren.

Du bist geschickt und klug/ erfahren und noch jung.

Will dich der Himmel dort nicht gleich nach Wunsche führen:

So halt ich doch dafür/ und ist schon aus gemacht/

Daß dir ein gutes Glück wird anderwegen blühen.

Du bist bey jedermann hauptsächlich hochgeacht.

Man wird dich zeitlich gnug zu Ehren-Stellen ziehen.

Drum scheue nicht das Licht: man liebet die Person/

Und die Geschicklichkeit/ die allzeit in dir wohnet.

Du bleibst auch ohne Dienst ein wehrter Schwieger-Sohn;

Weil Tugend/ Lieb' und Treu so ihren Söhnen lohnet.

Fehlt dir vieleicht noch was an der Gelehrsamkeit?

Will noch dein edler Fleiß auf hohe Schulen ziehen?[193]

Es gönnt dir solches wohl dein – – eine Zeit/

Doch sollst du das an uns zu schreiben dich bemühen.

Und weil das eintzige mir noch im Wege steht/

Daß an Gelegenheit es dir wohl möchte fehlen:

Und daß durch deinen Ort hieher die Post nicht geht:

So wirst du hoffentlich auf deinen Freund nicht schmälen/

Wenn er Gelegenheit an dich zu schreiben nimmt/

Und aus Vertrauen dir zu einem Uberbringer/

Den Bothen meines Briefs hiermit zugleich bestimmt.

Wie wohl es saget mir bereits mein kleiner Finger/

Daß weder Geld noch Dienst'/ noch die Gelegenheit/

Die Ursach sind/ warum du bist von uns geblieben.

Es muß was größers seyn; und weil du jederzeit

Mich deinen treuen Freund und Bruder hast geschrieben/

Der an Verschwiegenheit dir zu vergleichen ist:

So melde doch verdeckt/ was hat dich abgehalten?

Laß/ wenn du wie zuvor mein Freund und Bruder bist/

Mich deine Heimlichkeit noch länger hier verwalten.

Vertraue/ Wehrtester/ was deine Brust beklemmt.

Du kanst mir sonder Scheu die gantze Noth entdecken/

Und was die Wiederkunfft zu unsrer Saale hemmt.

Will dich ein hoher Stern in deinem Glücke schrecken?

Macht dir ein Gegenschein hieher die Bahne schwer?

So laß mich dieses nur durch welche Zeilen wißen/

Bekümmre mich hinfort/ Geliebter Freund nicht mehr.

Soll ich die Gegenwart von dir gezwungen mißen:

So gönne mir das Glück von deiner wehrten Hand/

Daß ich in Briefen dich darf ungehindert schauen/

Erlaube deinem Knecht/ zu wißen Stadt und Land/

Dem du in Zukunfft dich beliebest zu vertrauen.

Damit die Freundschafft sich auch in der ferne liebt/

Und was der Mund nicht spricht/ die Feder möge schreiben.

Wenn mein geliebter Freund mir diß Vergnügen giebt/

So werd ich jederzeit davor verpflichtet bleiben.


Quelle:
Christian Friedrich Hunold: Menantes Academische Nebenstunden allerhand neuer Gedichte, Halle/ Leipzig 1713, S. 192-194.
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