Dritter Auftritt.

[179] Herr von Wallenfeld. Lieutenant.


HERR VON WALLENFELD hat die Arme eingeschlagen, und sieht auf den Boden.

LIEUTENANT nach einer Pause. Nun, Herr Baron, was hören Sie mit Freuden?

HERR VON WALLENFELD niedergeschlagen. Daß Sie zu uns gekommen sind. Aber freilich ziemt es mir nicht, Sie zu empfangen. Mit tiefer Beschämung. Reden Sie, ich muß alles anhören. Ich darf nichts sagen, gar nichts.[179]

LIEUTENANT. Sie sind ganz irrig, mein Herr. Ich werde Ihnen nur sehr wenig sagen.

HERR VON WALLENFELD. Halten Sie alles für verloren, was an mich gewagt wird?

LIEUTENANT. Wo die Bitten, die Thränen eines solchen Weibes nichts vermocht haben, wo der Anblick eines lieben guten Knaben nicht zu dem Herzen gesprochen hat, da ist völlige Verwilderung, und ein solcher Mensch ist in einem thierischen Zustande. Soll da der Schwiegervater noch winseln oder zanken? Pah! Unser Geschäft soll gleich abgethan sein. Ich verlange –

HERR VON WALLENFELD. Ich verdiene Ihren Zorn. Aber wenn Sie wüßten –

LIEUTENANT. Zorn? Nein, Herr! Züchtigung verdienten Sie; für den Zorn sind Sie mir nicht mehr gut genug. Wer Ehre und Vermögen verschleudert, Weib und Kind nach Brot schmachten läßt, seine letzten Groschen unter die Gauner bringt, statt zu arbeiten müßig geht, der – Kurz und gut: ich habe Sie nicht ermahnt, weil ein jedes Wort zu einem Spieler verschossen Pulver ist; ich habe abgewartet, bis Sie ein Bettler geworden sind. – Jetzt bin ich da, und nehme meine Tochter wieder zurück.

HERR VON WALLENFELD. Wie, mein Herr? Sie könnten die Unmenschlichkeit begehen?

LIEUTENANT. Es steht Ihnen wohl, dies Wort gegen mich zu gebrauchen.

HERR VON WALLENFELD. Wenn ich Marien verliere –

LIEUTENANT. Danken Sie Gott, daß ich sie mit nehme! Bleiben Sie mit sentimentalischem Wortkram weg. Deutlich gesprochen: wovon soll sie essen? Oder wollen Sie es erleben,[180] daß Ihr Weib an den Spieltischen Zahnstocher und Devisen verkauft? – Ich selbst bin arm. Was nach meinem Tode aus ihr wird, weiß Gott. Nun, bis dahin lebt sie doch noch. Gott wird dann weiter helfen. Und ihr Kind – der herzensgute Knabe! Ach! – heute zum ersten Male kostet es mir eine Thräne, daß ich arm bin.

HERR VON WALLENFELD. Mann, dessen Blick ich mehr ehre und scheue, als alle Gerichte, gehen Sie barmherzig mit mir um. Ich stehe am Abgrunde, stoßen Sie mich nicht ganz hinab!

LIEUTENANT. Was wollen Sie? Haben Sie barmherzig gehandelt an Weib und Kind? Und ich – habe ich Rechenschaft gefordert von den schlaflosen Nächten, die Sie mir kosten? habe ich Rache gefordert für die zerschlagne Blüte, die ich gezogen habe? Was will ich denn? Mein Kind und meinen Enkel, – sonst nichts. Sie überlasse ich Gott. Morgen früh um sechs Uhr reise ich, meine Tochter und das Kind von hier ab. Gott befohlen.

HERR VON WALLENFELD. Halten Sie sich frei von aller Verantwortung, wenn die Verzweiflung mich zu einer schrecklichen That treibt?

LIEUTENANT. Ja! Meine tugendhafte Tochter geht von einem lasterhaften Schwiegersohne.

HERR VON WALLENFELD. Wenn mein gebessertes Leben –

LIEUTENANT. Niemals bessert sich ein Spieler.

HERR VON WALLENFELD. Wie? –

LIEUTENANT. Wer so gespielt hat, wie Sie, der hört nie auf.

HERR VON WALLENFELD. Aber wie, wenn er nicht mehr spielen kann; wenn Armuth es zur Unmöglichkeit macht, wie dann?[181]

LIEUTENANT. Dann gebären Armuth, Habsucht, Gewohnheit, Geiz, Müßiggang, Verzweiflung und Rache aus einem nackten Spieler ein so wildes Ungeheuer, daß ein ehrlicher Vater seine Tochter lieber todt auf der Bahre sehen muß, als an der Seite eines solchen Menschen, den jeder Augenblick zum Räuber und Mörder stempeln kann. – Um sechs Uhr reisen wir. Geht.

HERR VON WALLENFELD da er einige Schritte gegangen ist, geht ihm nach. Vater! Vater!

LIEUTENANT. Meiner Tochter.

HERR VON WALLENFELD faßt seine Hand. Bestehen Sie darauf?

LIEUTENANT. Ja –

HERR VON WALLENFELD. Wagen Sie es?

LIEUTENANT. Ich wage es auf Gott! – Geht vor. Was sollen Sie? Vierundsechzig Jahre bin ich alt; fünfzig Jahre lang beschäftige ich mich beim Erwachen mit meinen Grundsätzen, und empfehle sie Gott; dann gebe ich mich getrost in die Weltwirbel. Hiermit sage ich Ihnen, meine Tochter geht mit.

HERR VON WALLENFELD heftig. So sage ich Ihnen, daß ich mich –

LIEUTENANT. Halt da! Er droht ihm. Junger Mensch! Deutet gegen den Himmel. Nimm dich in Acht! Geht ab.

HERR VON WALLENFELD. Nein, das überlebe ich nicht! – Das kann ich nicht überleben! –


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Theater. Band 3, Wien 1843, S. 179-182.
Lizenz:
Kategorien: