Zweiter Auftritt

[96] Vorige. Pastor.


PASTOR bleibt oben am Eingange traurig stehen.

OBERFÖRSTER. Da ist er! Ach Gott – Nun? Sie kommen von Anton?

PASTOR. Ja.

OBERFÖRSTER. Haben Sie ihn gesehen?

PASTOR. Gesprochen.

OBERFÖRSTER. Gesprochen? Nun, was geben Sie mir für Hoffnung?

PASTOR mit unterdrückten Tränen, indem er ihn umarmt. Auf die Gnade Gottes!

OBERFÖRSTER. O mein Sohn, mein Anton! – Anton![96] Anton! Anton, mein einziger Sohn! Er wirft sich auf den Stuhl am Tisch.

SCHULZ führt den Pastor an die Seite mit Tränen. Ist denn gar keine Hoffnung? Gar keine?

PASTOR. Alle Beweise sind gegen ihn.

SCHULZ. Großer Gott –

PASTOR. Mir hat das plötzliche, schreckliche Unglück so zugesetzt, daß ich wenig Trost zu geben weiß, außer den, er wird ihn nicht lange überleben.

OBERFÖRSTER. Also, du mußt fort, Anton – Steht auf. Wäre Hülfe mir gut – mir würde geholfen! Soll's nicht sein? Nun, Gott will dich! – Geh vor aus. Ich rechte nicht, ich murre nicht, ich frage auch nicht – aber die Träne, die ich um dich weine, wird Gott nicht verwerfen.

PASTOR. Weine, unglücklicher Vater! Wir weinen mit dir.

OBERFÖRSTER. Ja – die Zeit geht hin. Sagen Sie mir, was ich nun noch für ihn tun kann. Wie ist es zugegangen, daß – – – Erzählen Sie mir alles.

SCHULZ. Sollte Ihnen das nicht zu hart fallen, wenn Sie es hören?

OBERFÖRSTER. Ich hoffe, ich werde es ertragen.

PASTOR. Anton und Matthes trafen zu Leuthal im Gasthofe zusammen. Sie gerieten heftig aneinander. Anton zog; allein die Anwesenden trennten sie glücklich. Matthes ging fort. »Kerl, ich treffe dich wohl anderswo!« rief Anton in voller Hitze und verließ bald darauf das Haus. Kurz hierauf findet man Matthes, auf dem Wege nach Graurode, blutend – ohne Zeichen des Lebens. Anton kömmt dazu, erhitzt, verstört – seine Hände und Kleider voll Blut – »Der ist der Mörder«, schrien alle Bauern, »der ist's!« Matthes, mit dem Tode ringend, hebt sein brechendes Auge auf Anton und seufzt: »Ja, der ist's!« – »Ich habe mich mit ihm gestritten, aber ich bin unschuldig«, sagt Anton – »Du bist der Mörder, ja, du bist's«, schrien alle. Nun führen sie ihn mit sich hieher und den halbtoten Matthes langsam ihm nach.

OBERFÖRSTER. O Gott! Gott!

PASTOR. Alle, die im Felde und in der Schenke zugegen gewesen sind, zeugen einstimmig gegen ihn. Nichts spricht für seine Unschuld als das Gewissen des Angeklagten, das aber der Richter auf Erden nicht hört.


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Die Jäger. Stuttgart 1976, S. 96-97.
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