Vierter Auftritt.

[220] Figaro. Willner.


WILLNER kommt traurig hervor.

FIGARO bietet ihm die Hand. Muthig, mein Freund!

WILLNER. Kann diesen Spott ein Mann von Ehre ertragen?

FIGARO. Sie sind zu tief getroffen.

WILLNER. Mit bitterer Satyre mich vor aller Welt zum Gelächter ausstellen zu lassen! – Diesen Mittag – so schrecklich wie er war – verdanke ich Ihrer Ueberredung.

FIGARO. Geduld! – Sie werden ihn mir verdanken.

WILLNER. Niemals! – Ich mußte scheinen, was ich nicht bin.[220]

FIGARO. Das thaten Sie; allein Sie mußten's nicht.

WILLNER. Ueberschrien von der Menge – niedergedrückt durch das Gewicht des hohen Standes –

FIGARO faßt mit raschem Feuer seine Hand. Da – da finden wir einander. Das ist es, was in euerm Deutschland, und am meisten von manchem eurer Gelehrten mich empört. In Reisen, Briefen und Journalen macht ihr euern Vornehmen die Faust im Sack – im Angesicht mit ihnen verstummt ihr, wie noch nicht frei gelassene Knechte. Ist denn erworbene – errungene Menschenwürde minder, als der angeerbte Moder von Dokumenten?

WILLNER. Nun ja! – das Uebel ist weit gediehen auf beiden Seiten. – Allein, daß Deutsche – dem Deutschen sein Vaterland zum Vorwurf machen? – Das – mein Herr – das danken wir Ihrem Frankreich.

FIGARO. Frankreich? – Wie?

WILLNER. Ihrem Frankreich, das uns zum Pflügen tauglich hält, und – höchstens noch – zum erschossen werden, im Dienst der Herren, die uns verachten.

FIGARO kalt. Wer in Deutschland mehr erträgt, als er ertragen sollte – reibt sich an Frankreich.

WILLNER. O, wenn Sie wüßten –

FIGARO. Oder – rechnet man den Uebermuth von ein paar Deutsch-Franzosen, die den Unfug ihrer Sentiments leichtgläubigen Schwächlingen vorkrähen – rechnet man den einem ganzen Volke an?

WILLNER. Fürwahr, wir dürften –

FIGARO. Nicht weiter! – Impertinente Schwätzer für die Nation zu nehmen? – Charlatane, ausgetriebenen Pöbel – für dieses edle, généreuse Volk zu nehmen? – ist das auch billig?[221]

WILLNER. Nun so erzeigen der König und der Hof dem deutschen hohen Adel so viel Ehre – das Aufsehen, das sie zu Paris erregen, ist so verführerisch, daß es den guten Herren, wenn sie sich wieder hieher zu uns verirren, und dann nichts finden, als den schweren Boden, den ernsten Sinn, und den von ihnen mit geleerten Beutel – mit unserm biedern Herzen vorlieb zu nehmen, nicht möglich ist.

FIGARO. Nein, nein! – Was ihr von ihnen erduldet, ist eine Art Revanche, weil man sie in Frankreich links gefunden hat.

WILLNER. Nicht möglich?

FIGARO. Sie selber, die bei aller Steifheit dennoch wähnen, den Nationalcharakter der Franzosen an sich zu tragen, sie sind es, die zu Paris den Namen – Deutsche – zum Gelächter machen. – Ei – was macht ihr euch von Frankreich für ein Bild! – Eure Karikaturen erregen dort kein Entzücken. In Frankreich merkt niemand auf sie.

WILLNER. Man merkt nicht auf unsre Herren? –

FIGARO. Kein Mensch – so wahr –

WILLNER. Um unsrer Ruhe willen – ach, lassen Sie uns bei dem Glauben! – Er muß uns trösten, wenn wir arbeiten, daß das Blut uns aus den Händen springt, und der Ertrag davon kaum reicht, um das zu geben, was zu Paris die Ehre des deutschen Adels will.

FIGARO. Wenn eure Herren zu Paris auch eine Stadt verzehren, man merkt sie nicht. Wie ist es möglich, daß ein denkendes Geschöpf in dem Tumult von Menschen und Begebenheiten, von Fürsten und Millionen, das Blut getreuer Unterthanen hinvergeuden, und dann mit dem Insektenstolz sich blähen kann, als ob man in den Wirbeln und Wogen der Monarchie dies Opfer tief anstaune?[222]

WILLNER. Wäre dies unter uns allgemein bekannt –

FIGARO. Lacht es ihnen vor. – Euch ist das Lachen Vertheidigung – in Noth. Lacht – daß Ehre und schlichter Menschensinn und Geist des Vaterlandes erwache, und die Despoten eurer besten Kräfte aus dieser Mummerei aufschüttle.

WILLNER. Ich glaube nach gerade – manches, das wir für Pariser Ton halten, ist wohl nur aufgeraffte, mißverstandene Ziererei?

FIGARO. O, nichts ist Mitleidens werther, als das, was einige von euren Damen Pariser Ton gescholten; diese ekelhafte Mischung von Stolz, Nachlässigkeit und bittrer Laune, die man dort in der fernsten Landstadt kaum der Soubrette hingehen lassen würde. – Nein! – Der Hauptzug der Franzosen ist Liebenswürdigkeit und Edelmuth.


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Theater. Band 4, Wien 1843, S. 220-223.
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