[415] KATHARINA allein.
Verruchter Mensch! – Gottlob, ich bin allein.
Fast barg ich es nicht mehr, und dennoch bin
Ich eingeübt in jeglichem Gesichtszug,
Den die Verstellung fordert. O mein Herz,
Beinah' bist du zerborsten! Welch ein Morgen!
Erst der Despot und dann der Bösewicht!
In kurzem Auszug sah ich meines Lebens
Tiefelend Qualen-vollgeschriebnes Buch.[415]
Mein erst Gefühl, ein Frevel; Kerker-Ehe,
Und schändliche Vertraute! Was noch mehr?
Bist du's nicht müd geworden? Mußt du dir's
Noch beichtend wiederholen? – Irr im Kopf,
Gleich wilden Rossen stürmen die Gedanken.
Nichts hält mir fest, denn ich hab' alles, alles
Gedreht, verkehrt, gedeutelt und gefälscht.
Mit welchem Freimut sagte ich dem Zar
Die Wahrheit ins Gesicht! Und doch, was war's?
Wie? Oder trög' ich mich nur selber? Gilt denn
Mir jener Jüngling etwas? ...
Ach, ich war
Die letzte Zeit zu viel allein! Zerstreu' dich.
Törin, verflattert dein Gemüt nicht schon
Haltlos nach allen Winden? Sammle dich.
Um welchen Punkt? In mir ist nichts als Nichts.
Wir woll'n im Freien uns erholen; ja
Nach Monsens Gartenplatz. O schweben dort
Nicht seine Wünsche? Nein, ins Waisenhaus!
Gestiftet hab' ich's, und sie segnen mich ...
Ha Täuscherin, du sorgst für fremde Kinder,
Sinnst du nicht Tod ...
Sie fährt zurück.
Für wen? Ich? Wie? Unmöglich!
Ich hätte das auch nur gedacht? Nie! Niemals!
'S war Menzikof. Recht. Der versteinte Zar
Weint Tränen um den Sohn. Und ich ... Ich könnte ...
Hab' ich nicht selber Kinder? Eine Mutter,
Und Helferin in solchen Dingen? Dann
War jegliches sein Gegenteil. Er trägt
Die Schuld allein ... Er, der mich ins Verderben
Gerissen – meines Lebens Pest – das Mark,
Von dem das Dasein zehrt, wegdörrt' – O schilt,
Schilt deine Freunde nur! Bald wirst du einsam
Nach einem rufen. Geht er auch zu weit,
Um wen geschieht's? –
Sie geht umher, die Hände ringend.
[416]
Was soll ich tun? Was halten?
Woran richt' ich mich auf? –
Vor dem Spiegel.
Du fremdes Wesen,
Gib Rat! In deinen Zügen schläft's, wie Trost.
Ich könnte glauben, dieses Spiegelbild
Gehöre mir ... Doch ach, es ist zu schön!
Denn ich, wie kann ich schön sein? –
Sie wirft sich vor einem kleinen Altare nieder.
Gnad' o Himmel!
Wofern du Gnade hast, hier tut sie not.
O heil'ge Tugend, breite deinen Mantel,
Den sternbesäten, um die Reuige!
O Mutter, nimm mich auf! O Mutter, laß mich
An deiner lebenquellenden Brust gesunden!
Glaub diesem Flehn! Aufrichtig ist's gemeint.
Nach Mord und nach Verrat, nach allen Greueln
Dieselbe stets! Die Magd des fremden Willens.
Dafür den schweren Kaufpreis? – Soweit kam's,
Daß ich den Eigennutz bestell' als Bürgen
Für meine Besserung! –
Sie steht auf.
Ich bin entschlossen;
Nicht enden soll der Tag, wie er begann.
Ich bin die Gattin Peters, und so kenn' ich
Mein herzlich Frauenamt. Es löse friedlich
Sich diese Irrung! All' Eu'r schleichend Tun
Vereitelt die entsühnte Katharina.
Nachsinnend.
Wie machen wir's? Ja ... so ... Doch wenn? Kein: Doch!
Wer Gutes wagt, hat nie zuviel gewagt.
Ich will zum Zarewitsch. Mons soll mir helfen.
Sein letzter Dienst! Auch er sei mir verloren!
Viel geb' ich auf, mehr hab' ich mir erkoren.
Sie geht ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
|
Buchempfehlung
Kammerspiel in drei Akten. Der Student Arkenholz und der Greis Hummel nehmen an den Gespenstersoirees eines Oberst teil und werden Zeuge und Protagonist brisanter Enthüllungen. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge vom alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro