[469] Katharina in Trauer. Zar Peter.
PETER.
Was für ein Aufzug?
KATHARINA.
Tiefen Grames Kleid.
PETER.
Leicht hüllt sich eine frohe Brust in Schwarz.
KATHARINA.
Doch Seufzer steigen nur aus traur'ger Brust. –
O Herr, beflecke nicht dein würd'ges Leben!
PETER.
Es denke jeder seiner eignen Pflicht,
Wir werden würdig bleiben unsrer selbst. –
Du sandtest durch den Diener mir die Bitte
Um eine Unterredung. Ich versteh',
Rücksichten zu bewahren. Doch bevor
Du sprichst, erwäg', ob ich dich hören kann.
Auf meinem Pult lag namenlos ein Brief:
»Dein Weib verließ mit ihrem Mons das Schloß
Gestern« ...[469]
KATHARINA rasch einfallend.
... Um Mitternacht, geheim, verstohlen,
Als gält's ein Werk der bösen Finsternis!
PETER.
Wie?
KATHARINA.
Zu den reinen Sternen rufend: »Zeugt mir!«
Von Mons begleitet, dessen Kindersinn
Sie leicht die Fabel aufgeheftet, fuhr sie
Aus dem Palaste nach der Festung.
PETER.
Dahin? – –
KATHARINA.
Der Kommandant wird mich ja wohl vertreten.
Entschuldigt es.
PETER.
Sie war bei meinem Sohn! –
O Katharina, wie verdien' ich dich?
Du Dulderin! Du Edelmüt'ge!
KATHARINA.
Lob?
Schamröte meinen Wangen? Lieb' ich ihn?
Könnt' ich nur heucheln! Meinen Vorteil sucht' ich ...
Was hülf's, mich zu verstell'n? Ich bin zu schlicht.
Den guten Namen wollt' ich mir bewahren;
Stiefmütter büßen, wenn Vorkinder leiden,
Zu rühren hofft' ich ihn, ich meint' es gut.
Du hatt'st dich mir entdeckt, ich sagt' ihm alles,
Vom Vater sollt' er sich sein Los erflehn,
Damals war es noch möglich.
PETER.
Damals, ja![470]
KATHARINA.
Ich zählt' ihm deine heil'gen Tränen vor ...
PETER.
Und er? ...
KATHARINA.
Es war ein Fraungedanke!
PETER.
Er?
KATHARINA.
Ich bin nicht kommen, um ihn anzuklagen.
PETER.
Er widerstrebte?
KATHARINA.
Einer Ungeschickten.
Die Zung' ward nicht gemacht für Überredung;
Was man Behandeln nennt, ich kenn' es nicht,
Die Wahrheit ist so einfach.
PETER.
Warum gräm' ich
Um einen Toren mich? – –
KATHARINA.
Mein güt'ger Herr,
Fehlt' ich schon wieder! – O vergiß dich! Denk
Des Unglücks nur!
PETER.
Ich tu's.
KATHARINA.
Fern sei von mir
Der Lüge Kunstgewirk! Ich furcht' und sag' es:
Er wird ein Opfer doch, früh oder spät,
Des argen Herzens![471]
PETER.
Kann wohl sein.
KATHARINA.
Sie treiben
Gewaltsam ihn dazu. Weißt du? Im Süd
Die alten Städte, sandten Deputierte,
Von dir sein Leben zu ertrotzen.
PETER.
Freundschaft
Zur rechten Zeit ist gut. Das schlimmste ist
Unzeit'ge Freundschaft! Wenn doch die Gesandten
Umkehrten halben Wegs!
KATHARINA.
Partei ward alles.
Das eben, o mein Fürst, jagt mich zu dir!
Religion ist mein Gefühl für dich,
Ein höh'res Wesen bist du mir; nun faßt
Mich Schmerz um meiner Andacht göttlich Bild!
Die Richter morden, ihre Angst zu töten,
Den Herrn will sich dein Feind erhalten. Mitten
In diesen Fluten stehst nun du. O daß du
Dich rein entschiedest! du, du selber stets,
Nur du in dem Entschluß! Begeistrung, Kühnheit
Reißt über alle Grenzen mich ... Wo bin ich?
Für meinen Gegner bitt' ich, deinen Gegner,
Für einen Frevler bitt' ich, denn ich muß.
Die Liebe sorgt um Folgen nicht. Entschließ,
Entschließ dich jetzo!
PETER geht heftig umher.
Du allsehnder Himmel,
Send einen Strahl herab, hier ist es trüb! –
Die blinden Heiden legten auf das Haupt
Des Sohns, der an der Mutter sich versündigt,
Den schwersten Fluch. Den Furien gaben sie[472]
Den Schänder hin, den Geißeln. – Unter mir
Soll einer sterben, der der Mutter schonte!
Ruchloses Recht! Entsetzliches Gesetz!
Ich hätt' es grad wie du gemacht, Alexis. –
Wer seine Mutter preisgibt, ist ein Abscheu
Für jede Kreatur; der Hund verläßt
Den Herrn, der das tat. Schnaubend wirft das Roß
Die Last des Schlechten ab. Der Zar hat Grund,
Dir bös zu sein, wo aber wär' der Zar,
Hätt' ihn nicht seiner Mutter sanfter Schoß
Empfangen und gehegt?
KATHARINA beiseite.
(Ging ich zu weit?)
PETER.
Gib mir die Hand, daß ich Lebendiges
In meiner fühle! Mich umsaust der Tod
Mit ekler, wesenloser Mattigkeit.
Du stehst bestürzt, du liebe, treue Frau ...
Fühlst du mein ganzes Elend? Wär' ich nie
Gekrochen auf den Haufen Schmutz: die Erde!
Sieht aus wie Ton für eines Bildners Hand,
Ist aber nichts als Schmutz. – Zerbrich, mein Werk!
Stürzt, meine Städte! Sink, verkünstelt Volk,
Zurück in deine alte skyth'sche Nacht!
Mein Reich ist hohl und marklos. Diesen Sklaven
Flößet kein Gott des Lebens Otem ein!
Die Welt kann ich erobern, doch das tat
Vor mir schon Attila.
KATHARINA.
Und dein Gefangner?
PETER setzt sich erschöpft.
Ah so, mein Sohn. – Der mag denn also leben![473]
Denn freilich, stürb er, dann erwürgten wohl
Die russ'schen Mütter künftig an der Schnur
Die männliche Geburt; daß ihren Feind
Die arme Kreißende zum Licht nicht fördre!
So hilf mir nun, Erfindung, die so schön
Gekrönter Schwäche hilft. Ich glaubte nie
Dein zu bedürfen. – Gute Katharina,
Du hast den liebevollen Zweck erreicht:
Er soll begnadigt werden.
KATHARINA.
So. Begnadigt?
PETER steht auf.
Ich will's heut abend noch ihm sagen lassen.
Ist dir das recht?
KATHARINA.
Ei ja. Es ist doch etwas ...
Verzeih mir, darum hab' ich nicht gefleht.
PETER.
Nicht darum? Um was sonst?
KATHARINA.
Darauf zu fallen!
PETER.
Was wolltest du erbitten?
KATHARINA.
Herr, 'ne Grille.
Ich seh' es ein. Wer hindert dich? O tu's.
PETER.
Nichts will ich tun, bevor ich dich gehört.[474]
KATHARINA.
Zum Tod verurteilt sein, galt sonst für Schmach;
Vielleicht sind die Begriffe anders worden.
Er lebt denn, wie es gehen will, den Brandmark
Von Untertanenhand auf seiner Stirn!
Die Gnad' ist wirksam. Immer gilt's die Probe.
Möglich, daß er damit zufrieden ist,
Ich denk' nicht hoch von ihm. Auch machst du ihn
Gewiß so am unschädlichsten. Man kann
Ja nicht in fremder Seele zeugen. Ich,
Ein Weib, wüßt' freilich, was ich spräche, böt'st
Du deine Gnade mir.
PETER.
Er wär' ein Weib,
Spräch' er nicht so, wie du.
KATHARINA.
Die Gnade sei
Gemeiner Missetäter Bettler-Hoffnung,
Gleichgült'gen Frevels Trost, die Gnade schenke
Der Schuld, die man verachtet, ihre Buße!
Doch Gnade für Gerechtigkeit – das wär'
Seltsamer Tausch. Und bist du stark genug,
Die Wirkung zu beherrschen?
PETER.
Welche Wirkung?
KATHARINA.
Lang lebt ein Fürst in unbestrittner Macht;
Gehorsam ist Gewohnheit, niemand klügelt.
Dann aber kommt der Punkt, wo jeder fragt:
Warum gehorchen wir? – Sei gnädig. Sieh,
Ob nicht ihr Haupt der Zweifel morgen schon
Schüttelnd bewegt?
PETER.
Weil ich ein Mensch gewesen?[475]
KATHARINA.
Uns andern ging' es hin, dir schenkt man nichts.
Und fragen würden sie: »Wie kam es doch,
Wenn er wollt' gnädig sein, daß er das Aufsehn,
Das kalte, feierliche, unbegehrt
Um nichts erregen ließ?«
Sie hält inne, eine Antwort erwartend. Peter schweigt.
Nun, sprächen andre,
Er ist denn auch zuletzt wie unsrereiner,
Dräut und bereut. Der Fall belehre Euch.
PETER.
Schweig! – Dieser Fall wird etwas Härtres lehren.
Er nimmt das Todesurteil vom Tische.
KATHARINA.
Findst du's? Ja großer Herrscher, übe Großes!
Ein Unrecht wird geheilt nur durch das Recht,
Auf höherm Stuhl gesprochen, und du bist
Der höchste Richter! Schilt ihr Urteil, streue
Die Fetzen ihnen vor die Füße! So
Übst du die Macht, so bleibst du dir getreu,
Zur Quelle kehrt der Dinge Strom zurück.
Zwei Wege hast du, und den dritten nicht;
Du mußt ihn sterben lassen, oder mußt
Die Richter richten.
PETER.
Allerdings. So steht's.
KATHARINA.
Und weißt du nun, was ich erbitten wollte?
PETER.
Was ich nicht leisten kann, das weiß ich.
KATHARINA.
Wie?[476]
PETER.
Fluchwürdig war der Sinn, der Spruch ist gut!
Mir muß der Spruch nur wiegen, nicht der Sinn.
Zur rechten Zeit bist du gekommen. Fast
War eine Torheit hier geschehn, es war
Das Zeichen zu dem Bürgerkrieg gegeben,
Sobald sich meine Augen sterbend schlossen.
Im Irrtum war ich, grausam straft er mich;
Ich frevelte an der Natur, nun reift
Die Frucht; der Widersinn, das Ungeheuer.
Verloren war er schon, sobald den Hof
Ich eingesetzt. Wie auch der Hof gesprochen,
Ich mußte seiner mich entledigen.
Denn ist er schuldlos, bin ich der Tyrann,
Er ist der Märtyrer, für den das Volk
Berechtigt, heil'gen Wahnsinns Fahne schwingt!
Mein neu Geschlecht wird sich behaupten wollen,
Ein Zwischenreich beginnt, von dem mein Stamm
Das Land erlöst.
KATHARINA.
Wie weit-entlegne Sorgen!
PETER.
Das Unglück pflegt mit schnellem Fuß zu wandern,
Das Ferne gelt' uns nah', wenn wir's erblickt.
Er ist bedauernswert, und sie – sind schlecht,
Und wählen muß ich zwischen ihm und ihnen.
Ich hab' gewählt. –
KATHARINA.
Um alle Heil'gen, Herr ...
PETER.
Aus dunkler Wolke trifft der Strahl ... Nachahmen
Werd' ich den wetterbraunden Mächten!
KATHARINA.
Hör mich! ...[477]
PETER.
Dies also wäre abgemacht. –
Er legt die Hand auf ihre Schulter.
Wenn ich
Jetzt nicht mein Haar zerraufe, diesen Estrich
Mit meinem alten morschen Leibe nicht
Bedecke – dank' ich's dir. Ein großer Schmerz,
Ein großer Balsam in derselben Stunde!
Seit heut erst kenn' ich dich. Du sprachst ja stattlich,
Wie eine rechte, echte Königin!
Hast mir was abgehorcht.
KATHARINA.
Ach, nicht von mir!
Verlor ich mein Gesuch?
PETER.
Verlorst es ganz. –
Er tritt nach einer Pause vor sie hin.
Du rettetest mich einst, du halfst mir jetzt
Durch tief Gespräch zur Wahrheit. – Hier ja wäre
Etwa, was wir gesucht. Von unsrer Glut
Ein Fünkchen, Art von Art. Und die Sarmaten
Sind's schon gewohnt. Beschenken möcht' ich dich,
Und hab' nur Not und Sorgen zu vergeben.
Rußland besitz' ich. – Willst du's?
KATHARINA.
Großer Gott! ...
Mich überschütten deine Worte ... Ich?
Alexis? ... Herr ...
PETER.
Die Schande spar' ich ihm,
Kann ich ihm sonst etwas ersparen?
Er geht.
Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
|
Buchempfehlung
Camilla und Maria, zwei Schwestern, die unteschiedlicher kaum sein könnten; eine begnadete Violinistin und eine hemdsärmelige Gärtnerin. Als Alfred sich in Maria verliebt, weist diese ihn ab weil sie weiß, dass Camilla ihn liebt. Die Kunst und das bürgerliche Leben. Ein Gegensatz, der Stifter zeit seines Schaffens begleitet, künstlerisch wie lebensweltlich, und in dieser Allegorie erneuten Ausdruck findet.
114 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro