Sechste Szene


[318] Katharina. Menzikof treten auf. Die Vorigen.


PETER.

Da kommen zwei, die ich nicht hören will.


Zu Gordon.


Schick sie in die Kajüte.

KATHARINA.

Sturm und Not!

Uns schreckt' es nicht. Du zürnst; was ist ein Sturm?

PETER rückt am Steuer. Zum Steuermann.

Mit solcher halben Wendung kommt das Schiff

Grad' um den Vorsprung dort.[318]

STEUERMANN.

Der Zar versteht's!

PETER.

Es sind nur ein paar Handgriffe, mein Sohn,

Die man recht innehaben muß. Und dann,


Er klopft ihm auf die Schulter.


Hübsch Ruh' und kaltes Blut!

MENZIKOF zu Katharinen.

Sprich! Laß nicht ab!

KATHARINA.

Kein Wort der Liebe, o mein güt'ger Herr?

Wir sind noch Neulinge. Ich hab' gefehlt,

Nur ich, dein schwaches Weib. Dein Menzikof,

Er wär von Moskau nimmer fortgegangen.

Denn bleiben wollt' er, ja, bei Gott, er wollt' es,

Daß er geflohn, ist, ach, mein rasend Werk!

MENZIKOF.

Großmüt'ge Lügen hörst du, Majestät.

Nein, bleiben wollte sie, bei Gott, sie wollt' es,

Und daß wir flohn, ist, ach, mein rasend Werk!

PETER zum Steuermann.

Hier wallt die See zu stark für unsre Kraft.

Sieh her.


Am Steuer rückend.


Dann stellt man ganz das Steu'r zur Seite,

Den Stoß nicht zu vermehren.

KATHARINA.

Sind wir schon

Gestorben, Menzikof?[319]

GORDON zu Katharinen.

Geht, gnäd'ge Frau.


Zu Menzikof.


Fürst, wählt die bessre Stunde. Bei St. Dunstan!

Der Himmel macht ja Lärm genug.

PETER.

Gordon!

GORDON.

Zar!

PETER.

Was verwirken nach des Reichs Gesetz

Statthalter, die vom Posten fliehn?

GORDON.

Das Leben.

PETER.

Es hat sich kürzlich sowas zugetragen.

Vielleicht lass' ich die Schuld'gen ...


Starker Donner.


GORDON.

Herr! Denk' nicht

An dein Gericht. Dies Wetter macht aus uns

In zwei Minuten ein Gericht für Fische.


Ein gewaltiger Donnerschlag. Geschrei vom Mastkorbe und aus dem Innern des Schiffs.


KATHARINA UND MENZIKOF zugleich.

Wir scheitern!

GORDON zugleich.

Himmel sei uns Sündern ...

PETER über den Bord gelehnt, drohend.

Du!![320]

STEUERMANN.

Nein Herrn! Nun ist's vorbei. Das war das Letzte.

So kommt es immer.


Der Sturm läßt nach.


GORDON.

Traun, die Luft wird hell.

Ein neues: »Quos ego«!

Ist hier kein Rubens, den Neptun zu malen?

Verdrießlich, gelb vor Ärger, kriecht das Meer

In seine Bucht,

Vom Herrn gescholten, wie ein murr'nder Hund!

PETER in den Anblick des Meers versunken.

In deinem Grimm, in deiner Milde schön!

Atem der Erde! Mein geliebtes Meer!

Rußland hat wider seinen Arzt und Heiland

Den Schild erhoben, und das Schwert gezückt,

Und Ehr' und Treu' geworfen in den Winkel.

Und das empfandest du. Die Menschen sind

Gemein und bös. Das Element empfand

Die Kränkung seines Herrn.


Zum Steuermann.


Jetzt fahr' du besser.


Er steigt von dem Platze am Steuerruder.


Wir sind vor Kronstadt.


Hinausrufend.


Werft die Anker aus!


Er kommt in den Vordergrund.


KATHARINA.

Es muß gewagt sein.


Sie zieht einen Dolch aus dem Busen.


Gordon, nimm den Dolch!

GORDON.

Besinnt Euch doch, Zariza.[321]

KATHARINA.

Nimm den Dolch!

Und sage deinem Zar, weil er sein Aug'

Von Katharinen wandte, soll den Dolch

In ihre Brust er stoßen. Sie versteht nicht

Zu leben ohne seine Gunst.

MENZIKOF.

Und ich,

Fürst Menzikof, will gleichfalls sterben, Gordon!

PETER.

Gordon, gib diesen Dolch zurück der Frau,

Und sag der Künstlerin: Zar Peter sei

Kein Bühnenheld und kein Theaterkönig.

Wer Rußlands Freund, sei sein Freund; wie man ihn

Für die Person verehr' und liebe, gelt' ihm

Ganz gleich.


Katharina und Menzikof entfernen sich mit Zeichen der Bestürzung.


Ich geh' nach Moskau. Mich empfängt

Das Land, wie immer, mit Geschäften. Nun,

Was jetzo zu besorgen ist, das denk' ich

Zu enden so, daß nichts dergleichen wieder

Mich je behell'gen soll.

GORDON.

Es ist ein Sprichwort:

Wer hastig jätet, rauft mitsamt dem Unkraut

Die Blumen aus.

PETER.

Gordon, ich hab' nicht Zeit

Zu langem Umschweif, Prüfen und Erwägen.

Ich bin jetzt fünfzig, und durch mein Gebein

Schleicht ein verborgnes Gift. Wie manches gibt

Es noch zu schaffen! Diese Fahrt legt mir

Schon wieder etwas auf. Das Meer ist schlimm.[322]

Leicht scheitert hier ein Schiff. Wir woll'n zurück,

Wenn wir in Moskau unser Werk getan.

Hier muß man Lotsen haben, tücht'ge Lotsen. –

Sobald der Zarewitsch enthauptet ist ...

GORDON im höchsten Erstaunen.

Sobald der Zarewitsch ...?

PETER gleichgültig.

Enthauptet ist,

Will ich hier eine Lotsenschul' errichten.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 4, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 318-323.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
Alexis: Eine Trilogie Von Karl Immermann . (German Edition)

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon