XIV. Der Herausgeber an den Arzt

[566] So sehen wir die Männer der Nichtigkeit oder dem Tode entgegengehn, denn auch der Oheim seufzt unter der Last seiner Besitztümer die letzten Hauche eines ersterbenden Lebens. Nur die Frauen, die Schwächsten, und die am verlorensten zu sein schienen, sind beschwichtigt.[566]

Eine sentimentale, genußsüchtige Vergangenheit hat heimliche Irrungen aufgehäuft, an welchen die schuldlosen Enkel sich zu plagen haben. Die Verhältnisse sind verschoben, die Menschen voneinander entfernt, sich halb fremd geworden, der Held ist kindisch, und nur die Maschinen des Oheims arbeiten, wie von je, in toter, dumpfer Tätigkeit fort.

Aber die Gegenwart ist im Besitze unendlicher Heilungs- und Herstellungskräfte, und ich wüßte diese unsre brieflichen Unterhaltungen, welche etwas chaotisch sind, wie ihr Gegenstand, die Zeitfolge aufheben, und zuweilen in spätere Tage vorausgreifen, nicht besser abzuschließen, als mit den Worten Lamartines, wenn er sagt: »Ich sehe kein Zeichen des Verfalls im menschlichen Geiste, kein Symptom der Ermüdung oder Veraltung. Zwar sehe ich morsch gewordne Einrichtungen, die dahinstürzen, aber ich erblicke ein verjüngtes Geschlecht, welches der Atem des Lebens beunruhigt und in jedem Sinne vorwärts stößt. Dieses wird nach einem unbekannten Plane das unendliche Werk wieder aufbaun, dessen stete Erschaffung und Herstellung Gott dem Menschen anvertraut hat: sein eignes Geschick.«[567]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 566-569.
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