X. Hermann an den Grafen Heinrich

[643] Abschrift


Bremen, den 16. November 1795


Es gibt Dinge, die nichts weiter zulassen, als die Handlung, alles Reden darüber ist unnütz. Was hülfe es mir, Dir meine Betrachtungen über die trostlose Geschichte mitzuteilen? Es ist nun dahin gekommen, – was ich immer vorausgesehen, und Dir vorhergesagt habe, – daß Dein Sinn Dich vor einen Punkt führen würde, wo Dir Blick und Aussicht, ja Bewußtsein verschwinden müßte.

Aber wie gesagt, hier gilt es die Tat, die Worte sind leere Spreu. Aus den Briefen des Mädchens sehe ich, daß sie keine Metze, keine Närrin ist, die mit Phrasen umgeht; der Lapidarstil, in dem sie an Dich schreibt, zeugt von einer starken[643] Seele. Und ein solches Wesen hat mein Freund entwürdigt, und sein Kind soll ein Bankert heißen?

Dem soll nicht so sein. Du nennst mich kalt, der Kalte wird Dir seine Kälte beweisen. Wenn Du diese Zeilen empfängst, bin ich schon unterwegs. Ich werde vor Babetten hintreten und sie fragen, ob sie meine Hand annehmen will, und ob ich ihre Schande mit meinem ehrlichen Namen zudecken soll? Dich wünsche ich nicht zu treffen; diese Sache ist nur zwischen dem Mädchen und mir; Dein Anblick würde mir nur unnütze Schmerzen machen.

Antworte mir nicht, danke mir nicht, laß uns überhaupt eine Zeitlang, bis die Gemüter sich einigermaßen beruhigt haben werden, für einander nicht vorhanden sein. Ich weiß, was ich tue, opfre mich für Dich, gebe ein Leben und seine Freuden dahin, Dir zu helfen. Ein solches Gefühl will geschont sein, und wird durch jedes Anrühren, auch durch das wohlgemeinte, nur noch quälender aufgeregt. In seinen Tiefen werde ich mit der Zeit, wo nicht Trost, doch Beschwichtigung schöpfen.

Was mir schon jetzt Halt und Stärke gibt, ist die Empfindung, daß ich ja gewußt habe, wie alles sich fügen würde. Graf und Bürger sollen die Hand einander nie zu so engem Bunde reichen, sollen bleiben, wohin der Stand einen jeden gestellt hat. Den einen treibt sein Geschick in das Weite und Freie, den andern weiset es in ziemlich enge Schranken. Überspringen sie die gezognen Grenzen, so hat sich der, welcher den Fehltritt erkannte, da er ihn beging, über die schlimmen Folgen nicht zu beklagen, die früh oder spät eintreffen müssen.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 643-644.
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