II. Derselbe an Denselben

[632] Hamburg, den 15. April 1795


Hermann, ich reise. Der Frühling will vor den Seestürmen, die von Cuxhaven herüberwehn, nicht zum Durchbruch kommen, ich gehe also, ihn an seiner Wiege, im Süden aufzusuchen. In Schwaben oder in der Pfalz will ich mich unter Mandelbäume und Kastanien lagern, alte Burgen erklimmen und mich in schönere Zeiten träumen. Und wenn ich erwache und sehe, daß das Geschlecht der Edleren von der Erde verschwunden ist, so soll mir die jüngste Blüte die ganze Weltgeschichte ersetzen. Zudem sei Dir vertraut, daß ich von hier fort muß. »Kein Mensch muß müssen«, sagt Lessing, aber ich muß doch fort. Die schöne Frau, mit der Du mich oft zusammen sahst, bezeigte sich gefälliger gegen mich, als ich anfangs selbst erwarten durfte, das hat nun Folgen gehabt, und so weiter. Die Tränen des armen Weibes fallen wie glühende Tropfen auf meine Seele, aber kann ich ihr helfen? Was geschehen konnte, ist geschehen, und so muß denn dieses Kapitel meiner Lebensgeschichte vorderhand abgeschlossen sein.

Ich sehe Dich saure Mienen machen, und höre Dich über Freigeisterei schelten, alter treuer Moralist. Höre mein Credo in betreff der Weiber. Sie sind so einseitig und eng, daß es eine Umkehrung aller Gesetze der Natur wäre, den Mann zum Sklaven einer einzigen Neigung machen zu wollen. Vielmehr hat sie, die ewigwahre, hier schon das richtige Verhältnis angedeutet, indem sie dem Weibe die Frucht gab, die ihr verbleibt, während der Mann von allen glücklichen Stunden nur ein bald erblassendes Andenken sich erhält. Bequemen wir uns, die wir Erde und Himmel mit unsrem Geiste umfassen,[632] eine Zeitlang zu den Füßen einer Frau zu girren, so dächte ich, daß ihr das genügen könnte, und mehr begehren, heißt das Unmögliche verlangen.

Daß ich verheiratet bin, daß ein Junge von mir bereits das Abc lernt, was ist's nun weiter? Mein Vater wollte es gern, daß ich, fast noch Student, unterducken sollte, weil er davon, was weiß ich? welche Mirakel der Besserung erwartete, und mir war es angenehm, daß ich, der ich in so vielem ihm hatte entgegen sein müssen, in diesem Punkte ihm einen Gefallen tun konnte. Hierauf traten wir vor den Altar, das kalte Fräulein Celeste sagte Ja, der warme Graf Heinrich sagte Ja, ein bezahlter Pfaffe sagte Amen, und ich war ein Ehemann worden. Wir haben einen Sohn gezeugt, pflichtmäßig, wie die Herrnhuter, und es müßte ganz verkehrt zugehn, wenn der Bube nicht ein Ausbund von Tugend und Ordnungsliebe wird, da bei seiner Erschaffung alles im regelrechtesten Gange verblieben ist.

Und damit sollte das Leben eines Menschen beschlossen sein? – Verdammt sollte er sein, den Feuerstrom seines Innern in rostigen Formen erstarren zu lassen? Du wirst mich davon nicht überreden. Du nicht, keiner wird es. Du denkst es auch nicht.

Um eines bitte ich Dich. Halte mich in dieser Materie für keinen Don Juan, der tierisch umherwütet. Immer ist mein Herz bei der Sache, nie wende ich Verführerkünste an, die ich hasse, wie den Abgrund der Hölle. Wir sind schwach, das ist das ganze Geheimnis. Das Himmelsfünkchen: Seele ist in einem Ballen Fleisch und Blut verpackt, haben wir das zu verantworten? Der Gott, welcher uns so hinfällig schuf, wird mit unsrer Hinfälligkeit Mitleid haben, wird von tönernen Gefäßen nicht die Härte des Marmors erwarten.

Auch die Lolo habe ich wahrhaft geliebt, und der unglückliche Ausgang wird eine Narbe in mir zurücklassen, die gewiß so bald noch nicht verharscht.

Bleibe Du mir nur, der Du mir bist, dann steht alles gut.[633]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 632-634.
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