Zwölftes Kapitel

[284] Schon bei den Quadrillen, die zuerst abgeritten wurden, hatte sich die Aufmerksamkeit bald vorzugsweise dem Verlarvten zugewendet. So gut die übrigen, von tüchtigen Stallmeistern eingeübt, ihre Sachen in Schwenkungen und Volten machten; dem Verlarvten kam keiner gleich oder nur nahe. Das Staunen über seine Geschicklichkeit war um so größer, als er dieselbe durch den Gegensatz noch zu heben wußte. Denn anfangs hatte er wie im Schlafe auf seinem Tiere gehangen und war nur so mitgezuckelt, hatte auch wohl zum Sattelknopf seine Zuflucht genommen, so daß schon mancher über den Ritter von der schneiderhaften Gestalt zu lachen begann. Auf so einmal aber rückte er sich zurecht, alle Muskeln schwollen von kräftigem Fleische, er ritt nicht mehr, er schwebte auf dem Gaule, seine Hand spielte mit dem Zügel, er führte die seltensten Kunststücke so edel-nachlässig aus, als seien sie eigentlich noch unter seiner Würde. Hierauf gefiel es ihm denn auch wohl wieder, zur großen Erlustigung besonders der Leute aus[284] dem Volke, die unter den Bogen der Tribünen, hinter den Schranken zusahn, in den anfänglichen Schneidertrab zu verfallen, und so fesselte er die ganze Versammlung in Lachen und Bewundrung an sich. Was das Merkwürdigste war, sein Tier, eine katzenartig gezeichnete, lange Schecke, die aus tückischen, leuchtenden Augen schaute, schien mit dem Herrn völlig eins zu sein. Wurde er über ihr zum Schneider, so wurde das Tier unter ihm zur Mähre, ließ die Ohren hängen, senkte den Kopf, und tat, als ob es lahme. Sobald dagegen der Reiter er selbst sein wollte, tanzte es wie ein Hirsch, flog es wie ein Vogel.

Besonders entzückt über diese Künste war ein alter Landedelmann, der einen Teil seiner Jugend in Großbritannien zugebracht hatte, und alles Pferdewesen leidenschaftlich liebte. Dieser Mann hatte bis dahin seine Nachbarn mit der unaufhörlich wiederholten Erörtrung der Frage, was doch wohl aus ihnen allen hätte werden sollen, wenn die Schlagbäume nicht gehoben worden wären? gepeinigt, als die Freude über den Verlarvten jene Untersuchung niederschlug. Er lehnte sich mit beiden Armen auf die Brüstung, klatschte unmäßig, rief einmal über das andre: »Bravo!« und schwor, er müsse nach dem Caroussel mit jenem Brüderschaft trinken. »Wenn ich nur wüßte, aus welcher Familie er ist«, sagte er. »Aus unsrer Provinz kann er nicht sein, denn hier sitzen sie doch im Grunde alle wie die Mehlsäcke zu Pferde, er muß von mecklenburgischem Adel sein, er macht wahrhaftig Sachen, wie ein englischer Bereiter.«

Nach den Quadrillen, welche die Musiker mit den ausgesuchtesten Märschen begleiteten, entstand eine kleine Pause. Knappen in grün- und weißgestreiften Wämsern richteten die bewimpelten Pfähle mit den Ringen auf, nach welchen nun das Stechen beginnen sollte. Eine große Walze wurde angewendet, den von den Huftritten der Pferde aufgewühlten Sandgrund wieder festzudrücken, unter dem Pavillone verschnauften die Kavaliere und ihre Rosse.

Der Enterbte war von der Tribüne herabgekommen, trat in den Pavillon, und Hermann sah, daß er mit dem verlarvten Neffen beiseite trat. Eine gewisse Vermutung machte ihn auf[285] den Inhalt des Gesprächs neugierig, er wußte sich scheinbar unbefangen den beiden zu nähern, und konnte wenigstens einige Worte von ihren Reden vernehmen. »Macht es nicht so auffallend«, sagte der Enterbte zum Neffen, »es kommt sonst aus, und wir werden um unsern Spaß gebracht.«

»Herr Baron«, versetzte der Neffe in einem rauhen, holprichten Dialekte, »ich nehme mir es auch vor, aber wer kann wider die Natur?«

Die Kavaliere begannen das Ringelstechen; mancher Ring blieb auf den Degen sitzen, mancher flog auch, von ungeschicktem Stoße berührt, in den Sand. Der Verlarvte schien anfangs die Warnung des Enterbten beachten zu wollen, er zeichnete sich nicht aus, fehlte, traf, wie es kam. Auf einmal aber war es, als ob in ihn wieder ein übermütiger Geist führe. Denn plötzlich ritt er bei dem Baume vorbei, und stach, diesem den Rücken zukehrend, mit einer sichern Bewegung nach hinten zierlich den Ring ab. Das war noch wenig. Das nächste Mal warf er den Degen nach dem Ringe, traf ihn, und fing den Degen in der Luft auf. Es war gut, daß hiermit dieser Teil des Festes zu Ende ging, denn wer weiß, welche Streiche noch sonst zur Gemütsergötzung der Zuschauer verübt worden wären.

Sobald der Zug wieder im Pavillone war, nahm Hermann den geschickten Reiter beiseite, und befahl ihm geradezu, sich zu entlarven. Die bestimmte Mahnung setzte den Menschen aus der Fassung, er nahm die Maske ab und ein braunes, verbranntes Gesicht erschien unter dem Barett. »Sie sind gedungen, unsrem Feste zum Hohne zu gereichen!« redete ihn Hermann hart an. »Verfügen Sie sich zu Ihrer Gesellschaft, bei der die Künste, welche Sie üben, für Geld zu sehen sind. Fort!« – »Mein Herr«, versetzte der Mensch, welcher zu ebner Erde so verlegen war, als er im Bügel sich keck erwiesen hatte, »ich wollte es nicht gern tun, denn ich fürchtete mich vor Rüge und Bestrafung, aber der Herr Baron setzten mir so lange zu, daß ich mich endlich bewegen ließ.« – »Und was war die Absicht bei diesem Possenspiele?« fragte Hermann. »Ich sollte«, antwortete der andre, »nach dem Caroussel vor der Frau Herzogin hinknien, und die Geschenke empfangen, die der Herr Baron[286] dann von mir haben wollte. Was weiter im Werke war, kann ich nicht sagen, wir reisen schon morgen fort.«

Hermann nötigte den falschen Ritter auf sein Kunstpferd, und begleitete ihn noch einige hundert Schritte, um gewiß zu sein, daß er sich entferne. Als er umkehrte, begegnete ihm der Enterbte auf halbem Wege. Dieser sah dem abziehenden Kunstreiter nach, und sagte dann mit giftigem Blicke: »Sie tun ja, als ob Sie hier Herr im Hause wären.«

»Mein Auftrag geht dahin, reine Bahn zu halten«, versetzte Hermann. »Ich hätte nicht übel Lust, den Oheim dem Neffen folgen zu lassen. Das ist auch etwas, worin wir die Wilden unleugbar übertreffen, daß wir uns an jemandes Tafel, Hohn und Schimpf im Herzen, niederlassen können.«

Er wandte ihm den Rücken und ließ ihn stehn. Eine laute Fanfare von Trompeten und Pauken verkündete das Ende des dritten Teils, des Stechens nach dem Türkenkopfe, welches inzwischen vor sich gegangen war, und das Caroussel beschließen sollte. Die Kavaliere waren abgestiegen und standen, des Danks gewärtig; die Pferde wurden von der Bahn geführt. Die Herzogin saß unruhig, eine Träne im Auge, da. Sie fürchtete, jeden Augenblick den Verlarvten wieder hervortreten, und sich mit unter die Dankbegehrenden stellen zu sehn. Sie wußte nicht, wer dieser Mensch sei, aber ihr weibliches Ahnungsvermögen sagte ihr, daß er ihr und ihrem Feste Schlimmes bedeute.

Hermann eilte, was er konnte, und trat atemlos hinter ihren Lehnstuhl. Er flüsterte ihr zu, daß der Störer entfernt sei, und nannte ihr diejenigen Edelleute, welche nach seiner Meinung sich am besten gehalten hatten.

Die Geschenke, bestehend in goldnen Pokalen, damaszierten Ehrendegen, prachtvollen Schärpen und kostbaren Ringen, wurden verteilt. Auch wer keinen Dank empfing, wurde doch mit einer zierlichen Schleife, welche die verschlungnen Namen des Herzogs und der Herzogin zeigte, geschmückt. Alles dieses geschah bei Pauken- und Trompetenschall im Namen der abwesenden Königin.

Die Versammlung erhob sich. Nach dem Verlarvten wurde einige Augenblicke lang gefragt, dann vergaß man ihn. Nur[287] der alte Landedelmann war untröstlich, als er erfuhr, daß dieser Paladin sich entfernt und dadurch seinen Umarmungen entzogen habe. Er verfiel darauf wieder in das Gespräch von den Schlagbäumen, solange er einen Zuhörer finden konnte.

Man wollte nicht fahren, im Gehen meinte jeder sich mit denen, die er am liebsten mochte, besser zusammenzufinden. Alles wanderte in buntem Gewimmel nach dem Speisesaale.

Sobald die Gesellschaft den Platz verlassen hatte, stürzte eine Menge Knaben aus dem Volke herbei und raffte auf, was an Federn, Schlangenköpfen und sonstigen Kleinigkeiten umherlag. Hermann nahm eine Bandschleife, welche, von der Hand der Herzogin berührt, liegengeblieben war, und wollte sie als Erinnrungszeichen verwahren. Da sah er die verschlungnen Namen und warf sie mit einer schneidenden Empfindung weg. Die Knaben rauften sich um das leichte Zeichen; bei dem Ziehn und Zerren zerriß es.

Was den Herzog betrifft, so hatte dieser nach Beendigung des Caroussels ganz freundlich seine Gemahlin gefragt, wann denn nun das Turnier beginne? In der Verwirrung der vorangegangnen Tage war man nämlich, wie dergleichen wohl vorzufallen pflegt, völlig vergessen gewesen, die Hauptperson von der Umändrung des ursprünglichen Festplans etwas wissen zu lassen. Er verwunderte sich daher nicht wenig, als er hörte, daß die Sache schon vorbei sei, und dasjenige ausbleibe, worauf er sich eigentlich gefreut hatte.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 284-288.
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