An Michael Beer

Tulifäntchen kommt und spricht:

»Aus dem Stübchen, eng, umgrünet

Von der Linde, der Akazie,

Aus dem Stübchen, das die Malve

Anlacht mit dem runden, roten

Vollgesichte, schickt der Vater

Mich zur großen Stadt Paris.


Daß ich in den langen Gassen

Mir nicht selber komm' abhanden,

Gab er mir an dich Adresse.

Schütze du mit deiner Weisheit

Vor Verführung, Trug und Unstern

Meine unerfahrne Jugend

In dem Sündenlabyrinth!«


Tulifäntchen kommt und spricht:

»Von dem Vater soll ich melden,

Er sei ganz und gar der alte

Grillenfänger, unter strengem

Zauberbanne Wechsel duldend,

Jetzt in trostlos-öde Wüste

Hingeschleudert, und zurücke

Dann mit einem Schlag geschmeichelt

In das jüngste Paradies.

Manch ein Edler will ihn anders,

Er will manchen Edeln anders,

Er bleibt er, sie bleiben sie,

Und so leben Welt und Dichter

In dem wunderbarsten Einklang.«


Tulifäntchen kommt und spricht:

»Ich bin nur ein winz'ger Bursche,[411]

Ich bin nur ein armes Garnichts,

Mein Verdienst, vom Sonnenstäubchen

Wird es weidlich überwogen.

Doch der Vater sprach, mir solle

Nicht das Herz darob erkranken.

Jeder zeige hierzulande

Sein Gesicht, krumm oder grade,

Wie's gewachsen sei, er frage

Nicht danach, ob seinem Nächsten

Krämpfe vom Aspekt entstünden.

Darum soll' auch meines herzhaft

Ich nur weisen allen Leuten,

Denn mir habe keiner jemals

Was geschenkt, so hab' ich keinem

Deutschen Landsmann was zu danken,

Und wer nicht mich ansehn wolle,

Lass' es bleiben immerhin.«


Tulifäntchen kommt und spricht:

»Noch ein Gleichnis gab beim Scheiden

Mir der Vater auf den Weg mit

'Lieder sind wie junge Vöglein,

Welche flattern flügg' vom Neste;

Nahe lauscht ein dummer Jammer,

Schlägt mit seiner plumpen Keule

Nach den leichten, doch die Schwingen

Tragen unverletzt sie fürder.

Flatternd spähn sie da und dorten,

Bis sie ruhn auf wackern Händen,

Auf dem Knie der schönen Frauen,

An der Brust geliebter Mädchen.

Dann die Kehlen öffnend, gießen

In den Äther sie die Seele,

Daß der Dichter, schleicht er eben

An so guter Statt vorüber,

Wundernd fragt beim feinen Schalle:

Ist das meine Brut, der tausend!

Die dort singt so nett und süß?'«[412]

Tulifäntchen kommt und spricht:

»Zur Genüg' ist nun geplaudert.

Nimm mich auf die Hand, du Wackrer!

Wollen sehn, ob ich den Schnabel

Auch dann öffne zu dem bißchen

Melodie, das sich im kleinen

Körper einquartieren konnte!

Viel ging freilich nicht hinein.«
[413]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 411-415.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tulifäntchen
Tulifäntchen
Tulifäntchen: Ein Heldengedicht in Drei Gesängen (German Edition)

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon