Eduard an Clerdon

[517] Es war gar nichts von einem Schlagflusse, mein Bester, was Ihnen so fürchterlich beschrieben worden; nur ein heftiger Schwindel, der seine guten Ursachen hatte. Es ist nun wieder besser, und mir nicht mehr bei Strafe – des ewigen Lebens, oder – des Tollhauses verboten, zu lesen, zu schreiben, oder sonst etwas Menschliches zu beginnen. Auch scheint die Sonne wieder am heitern Himmel; die Luft ist still; ich und die ganze Natur, wir sind bei gutem Humor.

In unserm C** heißt's also, ich sei der Frau von Kambeck im Netze, oder noch besser, ich liege ihr zu Füßen, bete sie an? Mag's doch! aber Sie, lieber Clerdon, sollen die Sache besser wissen. Hören Sie mein ganzes Geheimnis. Der Umgang des andern Geschlechts reizt mich unendlich; die artigen Geschöpfe haben so etwas Sanftes, Anschmiegendes, das mir behagt. Neben ihnen stimmt allmählich das allzu Heftige in meiner Empfindungsart sich herab; sie stehlen mir Gleichmütigkeit und Ruhe ins Herz. Kömmt nun gar noch eine etwas nähere Beziehung hinzu, und ich fahre mit meiner Juno droben auf den Wolken, und die Stutzerchen unten klettern die Berge hinan, und türmen ihre Felsen aufeinander – oh, Clerdon, das bringt immer richtig meinen Satan um all sein Latein; es ist so gut, als ob er in einem Weihkessel scheiterte, und ich – habe gewonnen Spiel. Aber bei allem dem, oder vielmehr eben deswegen ist es mir ein unerträglicher Gedanke, von eben belobten Göttinnen irgendeine anzubeten, ihr in ganzem Ernst zu Füßen zu liegen. Vor Jahren, ja,[517] da waren Rolands Taten auch meine Sache; allein ich ward doch ziemlich bald inne, wie es im Grunde mit meinen »Unsterblichen« beschaffen war, und bemühte mich glücklich, den Willen des allgewaltigen Schicksals auch zu dem meinigen zu machen.

Lieber, ich habe nichts dagegen, daß es Clarissen, Clementinen, Julien, und sogar heilige Jungfrauen von unbefleckter Empfängnis überall gebe: aber, ich bitte, nur keinen zu großen Lärm davon! Denn seht, diese erhabenen Einbildungen sind schuld, daß so viele Menschen verächtlich von denen Weibern denken, die – Gott gemacht hat, von Weibern für diese Erde, und nicht für den Mond, wohin die Herren den Weg fragen. Da schelten sie dann, und klagen über Grausamkeiten, Treulosigkeiten, Abscheulichkeiten, Schandtaten, die sie von ihnen erfuhren, da doch die guten Geschöpfchen mehrenteils nicht einmal wissen, was das für Sachen sind. Toll, daß wir so hart gegen sie verfahren! Lassen wir sie, wie die Natur sie beliebt hat, ohne sie zu Engeln martern und versuchen zu wollen; alsdenn werden sie uns sehr gerne lieben, und mit so viel Innigkeit, Festigkeit und Großmut, als ihre artigen lieben Seelchen nur vermögen.

Ich muß meiner spotten, und mich ärgern, wenn ich zurückdenke, wie ich sonst nie an einem Mädchen hangen konnte, ohne mich aus allen Kräften zu bemühen, es nach einem gewissen Muster, das ich im Kopf hatte, umzubilden. Sie erinnern sich doch jener amerikanischen Wilden, die zwischen zwei Brettern ihren Kindern Kopf und Hirn zerquetschen, und sie zu Ungeheuern verstellen, in der löblichen Absicht, sie der vergötterten Sonne und dem vergötterten Monde ähnlich zu machen. Geradeso war auch mein Tun, und während ich mit dieser Narrheit mich schleppte, hab ich schreckliche Leiden erduldet. Alle Augenblicke waren meine Gestirne in Verfinsterung, und so arg ich auch lärmte, um den häßlichen Drachen, der sie zu haschen lauerte, fortzuscheuchen, mußt ich ihn zuletzt doch immer sie vor meinem Angesichte jämmerlich verschlingen sehen. Von so viel unglücklichen Erfahrungen müde, sprach ich einst an einem frühen Morgen sehr weislich zu mir selbst: es ist ja wahr, daß weder Aspasia, noch Danae, noch Phyllis, noch Melinde, noch so viele andre Namen, die du wohl weißt, Namen von Sternen am Himmel sind: aber sag an! zecht man nicht oft beim Wachslichte fröhlicher, als man im höchsten Sonnenglanze tafelt? Nun, so genieße der kleinen Feste, und laß die wunderbaren, ungeheuren Herrlichkeiten, womit es, ohne den Zauberstab des großen Merlins,[518] doch nie recht gelingen kann. – Seit dieser Zeit, was für Abenteuer mir auch im Gebiet der Liebe zugestoßen, habe ich nie wieder an meinen Schönen Hörner, Fischschwänze oder Krallen wahrgenommen, sondern – es mir immer wohl sein lassen. Von hier komm ich vor Anfang der künftigen Woche schwerlich weg. Ich ließ mich auch gerne halten, wenn nur der junge Graf von Batuff nicht wäre, den mein böser Geist hieher gebannt hat, und der mir alle Augenblicke etwas Unangenehmes mit sich zu schaffen macht. Er verstimmte mich gleich im ersten Augenblicke, da ich hier ins Schloß trat. Sie wissen, daß mein Präsident mir den ärgerlichen Auftrag gab, auf dem Wege hierhin ein paar Stunden umzureiten, um die neue Wassermaschine in dem Bergwerke zu D*** in Augenschein zu nehmen. Ich tat das so kurz ab, als möglich; und ritt nun in gestrecktem Trabe durch den Wald nach Kambeck zu. Ohngefähr in der Mitte des Waldes sah ich zwei ausgespannte Pferde, einen umgeworfenen Karren, und den Führer, an einen Baum gelehnt, daneben stehen. Der arme Kerl hatte sein Holz alle abgeladen, auch das eine Rad ausgenommen, war aber dennoch nicht imstande gewesen, den eingesunkenen Wagen in die Höhe zu lüften. Der Vorfall – wie ich's nehmen mochte – kam mir ungelegen. Ich ritt vorbei; aber vermutlich hatte mein rechter Arm sich mechanisch zurückgezogen, denn mein Pferd kam aus dem Trab. Den Augenblick ward's mir auffallender, daß ich – nicht auf der Flucht sei, und so ward Meister, was recht war. Ich stieg ab, und bot dem armen Hülflosen meine Dienste an. Ein Blick auf meine goldene Einfassung, mit einem bittern Lächeln, erwiderte mir, daß seinesgleichen von Vornehmen keinen Beistand, wohl aber den grausamsten Spott erwarten müsse. Das war ein Blitz in meine Seele, Clerdon. Ich fühlte alle die Schimpfreden und die Prügel, die ich ohnfehlbar dem Menschen gegeben hätte, wenn er in ähnlichen Umständen mich angetroffen, und seine Hülfe mir versaget hätte. Ohne weiters griff ich den Karren mit solcher Kraft an, daß er in einem Ruck auf der entgegengesetzten Achse ruhte; dann flog ich auf das Rad zu, und rollte es herbei; der Wagen ward hervorgezogen und das Rad eingesetzt. Ich wollte dem Manne auch sein Holz wieder aufladen heiren, aber das litt er schlechterdings nicht wie herzlich auch mein Bitten war. Er fühlte nicht, was für eine Wohltat er mir erwiesen hätte. – Ach, wie zufrieden der Arme mit mir war, wie er mir dankte, mich bewunderte, es nimmer vergessen, es seinen Kindern, dem[519] ganzen Dorf erzählen wollte! Großer Gott! ich meinte vor Scham und Schwermut zu versinken, und wäre diesmal gewiß nicht nach Kambeck geritten, wenn ich nur sonst gewußt hätte, wohin. Ich kam spät an. Aus meinem übelzugerichteten Anzuge ward geschlossen, ich sei mit dem Pferde gestürzt. Ich erzählte meine Geschichte. Der Herr Graf standen ausgegreitscht mir dicht vor der Nase, in einer echt adelichen Positur, die ich gemalt haben möchte; und als ich geendiget hatte, sagte er mit einer albernen Fratze zur Frau von K.: »Es ist ein Glück, daß dem Bauern die Pferde nicht durchgegangen waren, und er selbst mit einer starken Blessur dalag; sonst hätte Allwill seinen Engelländer einspannen, und den lieben Nächsten heimkarrigen müssen.« – »Herr Graf«, erwiderte ich, »Sie urteilen vielleicht zu günstig von mir, denn ich hätte ja so nah meinen armen Bauer hülflos gelassen, und wäre – ein Schurke gewesen.« So leise ich, aus guter Lebensart, das Wort »Schurke« näher hin zu Ihro Hochgeboren aussprach, so war's doch, gebräuchlichermaßen, der F.v.K. nicht entgangen; sie veränderte von Farbe; und in den Augen des Grafen sah man – daß es ihm seltsam ward in seinem Eingeweide. – Aber ich fuhr fort, und schwatzte mir das Herz ganz rein, und ruhte nicht, bis ich alle die Schimpfworte und Prügel, worunter ich den Morgen mich geängstiget, auf Ihro Gnaden abgeladen hatte. Damit war's denn gut – für diesmal.

Wollen Sie wohl, lieber Clerdon, es bei meinem Präsidenten ins rechte Licht stellen, daß ich einige Tage länger ausbleibe, und es auch meinem Vater zu wissen tun? Grüßen Sie das vortreffliche Weib, auch Lenore und Clärchen, wenn Sie dieselben sehen.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 1, München 1971, S. 517-520.
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