X

[73] »Noch eine Stube! Wozu ist denn die?«

»Das ist das Fremdenzimmer.«

»Ei, da steht ja eine Wiege.«

Frau Bernhart errötete. »Die hat mir eine Freundin zum Hochzeitsgeschenk gemacht.«

»Ärgerten Sie sich nicht darüber?«

»O, im Gegenteil.«

»Und hier geht's in die Küche. Ist die schön! Ein wahrer Salon.«

»Ich halte mich sehr viel hier auf.«

»Wie geschmackvoll! Alles Geschirr aus blauweißgestreiftem Email. Kommt Ihr Mann auch mal herein?«

»Leider nicht. Er hat wenig Sinn fürs Häusliche. Aber ich hoffe, das kommt noch mit der Zeit. Wir sind erst anderthalb Jahre verheiratet.«

»Natürlich kommt das noch. Kochen Sie ihm nur recht viel gute Sachen, dann wird er die Küche liebgewinnen.«[73]

»Sie wollen schon gehen? Kommen Sie doch noch ein wenig ins Wohnzimmer. Kann Ihr Mann also wirklich nicht mit Ihnen zu einem bescheidenen Abendessen zu uns kommen? Paul würde sich so sehr freuen. Sie müssen nämlich wissen, wir leben sonst ganz zurückgezogen. Mein Mann wohnte bei meinen Eltern im Hause. Als ich aus der Pension kam, lernten wir uns kennen, und später heirateten wir uns. Aber er ist nicht zu bewegen, gesellig zu leben. Kaum, daß er meine Mutter gern bei uns sieht. Als er neulich Ihre Einladung annahm, war ich ganz starr. Und nun müssen Sie die unsere ausschlagen, wie traurig!«

Marie Therese blickte auf das kleine, zierliche Figürchen mit dem dunklen Tituskopf und dem feinen Gesichtchen. »Ja, es ist in der That sehr traurig. Aber mein Gatte soll das Zimmer nicht verlassen, bevor sein Bronchialkatarrh gewichen ist.«

»Es ist doch sonst nichts ernsthaftes.«

»Bewahre Gott!«

»Da hat's geläutet. Das ist Bernhart.«

Marie Therese neigte grüßend das Haupt vor ihm. Er zog ihre Hand an seine Lippen. »Das ist sehr gütig von Ihnen. Wie gehts Ihrem Mann?«

Er warf einen raschen Blick auf sie.

»Gut geht's ihm, aber es soll noch besser werden.«[74]

»Setzen wir uns doch noch einen Augenblick.«

Alle drei ließen sich in dem hübschen kleinen Rokokozimmer nieder.

»Sie sind sehr beschäftigt, Herr Doktor?«

»Ja, nicht wahr, er sieht blaß aus. Wenn ich denk', wie Professor Born aussieht!«

Marie Therese lächelte. »Auf die Farbe kommt's doch nicht an, mein' ich.« Sie fühlte, daß seine Augen auf ihr ruhten.

»Erlauben Sie, Frau Steinwald, daß ich Ihnen ein Täßchen Thee braue?«

»Nein, danke herzlich; Sie wissen ja, ich muß gleich nach Hause.«

»Haben Sie's wirklich so eilig?« fragte Bernhart.

»Ja, ich habe allerlei vor, auch ist mein Mann allein und erwartet mich.«

»Sie Arme! Einen kranken Mann zu haben, muß fürchterlich sein! Wenn ich denk', daß mir Bernhart –« Der Doktor stand rasch auf und that, als ob er etwas suchte.

»Was machen Sie ihm denn vor, daß er sich nicht langweilt? Darf er Besuche empfangen?«

»O ja, bloß nicht viel sprechen. Deshalb lese ich ihm vor.«

»Aha, das thun Sie sicher sehr gut. Man sagt –« sie errötete und blickte ihren Mann ungewiß an.

»Was sagt man?« lächelte Marie Therese.

»Daß Sie zum Theater gehen wollten, ist's wahr?«[75]

Frau Steinwald nickte. »'s ist wahr.«

»Nein, so eine Courage!«

»Das hatte mich eben angezogen, daß man dort kämpfen und streiten muß.«

»Aber man kann doch auch untergehen, nicht?«

»Dann geht man wieder auf. Eine tüchtige Frau kann übrigens nie untergehen. Und wenn sie keine tüchtige Natur ist, dann soll sie lieber heute als morgen verkommen.«

Das Titusköpfchen schüttelte sich verwundert.

»Was Sie sagen! Würden Sie mir eine Frage erlauben?«

»Bitte sehr!«

»Halten Sie es aber nicht für Neugierde!«

»Und wenn's auch Neugierde wäre! Ich mag sie. Wer nie neugierig auf fremde Seelen war, wird mit der Zeit egoistisch werden. Was wollten Sie fragen?«

»Was sind Sie für eine Geborene?«

Marie Therese spitzte die Lippen und sagte in leicht schleppendem Ton: »Eine geborene Hofer.« Dann erhob sie sich. »Adieu, liebe Frau Bernhart. Herr Doktor.«

»Adieu, und nicht wahr, auf bald?«

»Gewiß.«

»Erlauben Sie, daß ich Sie hinabbringe. Unser Haus ist verschlossen.«

Sie fühlte ihre Wangen brennen, als sie neben ihm die Treppe hinabschritt. Unten ergriff sie seine Hand. »Sie haben eine liebe[76] kleine Frau, ein Leben, das ganz von Ihnen abhängt. Seien Sie so glücklich mit ihr, wie ich mit Leonhart.«

Ohne in sein Gesicht zu blicken, schritt sie hinaus.

Er wird mich für eine Gans halten, dachte sie unter wegs. Aber wie hätte ich's ihm sagen sollen, was ich ihm sagen wollte?

Etliche Tage später sah sie ihn langsam unter ihren Fenstern vorüberschreiten. Er hatte die Augen hinaufgerichtet. Es lag ein düsterer, hartnäckiger Trotz in seinem Gesicht. Wenn ich nun wollte, verließe er sein Weib und folgte mir bis ans Ende der Welt. Er wäre zu jeder Gewaltthätigkeit bereit, er, der Träumer. Wie beschränke ich nun, was ich heraufbeschwor? Aber machte ich mich denn wirklich eines Leichtsinns schuldig? Das erste Mal, als ich die beiden besuchte, hab' ich ihn einen Augenblick lang angesehen. Du mußt mir gehorchen, dachte ich dabei. Es war mehr Scherz, als Ernst.

Sie suchte Leonhart in seinem Zimmer auf, setzte sich an sein Ruhebett und erzählte ihm alles. Er sah sie an. »Du gefährliche Person, man sollte dich einsperren. Du wirst noch viel Unheil anrichten. Was willst du eigentlich!«

»Daß alle mein sind, alle. Ich kann's nicht ertragen, Widerstand gegen mich in einem Herzen zu wissen.«

Und wieder fragte er sich: Ist sie ein Kind, oder eine Kokette? »Was nennst du: Dein sein?«[77]

»Die Zustimmung zu meinem Selbst in einem andern. Das hat mit den Verhältnissen, in denen der Betreffende lebt, nicht das geringste zu thun.«

»Marie Therese, kannst du nicht ein wenig näher zu mir rücken? So; du weißt, ich soll nicht laut reden. Hör', wenn du aber aller Einvernehmen willst, ist's dann noch eine besondere Bevorzugung, dein Gatte zu sein?«

»O!« Sie sah ihn vorwurfsvoll an. »Das wirst du eines Tages erkennen.«

Er blickte auf seine weißen, schlanken Hände. »Bin ich nicht ein netter Ehemann? So kurz an meiner Seite, lernst du schon meine Hinfälligkeit kennen.«

»Woher kommt sie wohl?«

»Woher? Vielleicht infolge der Entbehrungen, denen ich zu einer Zeit ausgesetzt war, da der junge Organismus der Stärkung, der Schonung bedarf. Später, als es mir besser zu gehen anfing, that ich wie alle, die lange Durst gelitten haben: ich eilte an die Quellen des Lebens und trank, trank – ich war kein Heiliger, Marie Therese.«

Sie strich über sein welkes Haar. »Wenn ein Paar Schmetterlinge sich in der Sonne küssen, glaubst du, daß der Schöpfer das ins Buch des Lebens einträgt?«

»Denkst du wirklich so? Weshalb bist du[78] aber dann so herb? Weshalb deine Angst vor den Äußerungen des Lebens?«

»Das weiß ich dir nicht zu erklären. Oder erklär' es dir selbst aus allem, was ich dir bereits erzählt habe.«

»Es war nicht allzuviel.«

»Es giebt wenig Merksteine in meinem Leben.«

»Du läßt sie lieber unberührt.«

»Weshalb? Frage, wenn dich etwas interessiert.«

»Von wem hast du deine Art, die Menschen zu behandeln?«

»Von meinem Vater.«

»Wer war er?«

»Ein romantisches Prinzlein, das meiner Mutter die linke Hand reichte, weil seine rechte nicht mehr frei war.«

»In der That, Marie Therese?«

»Nun freilich.«

»Und wie geschah es, daß du im Kattunkleide –«

»Er verunglückte, als ich zwei Jahre alt war. Meine Mutter, die an ihre guten Rechte glaubte, wandte sich an Vaters Familie. Man bot ihr ein kleines Vermögen, wenn sie ihre Tochter in ein Kloster gäbe und bewog, daselbst zu bleiben, d.h. Nonne zu werden. Mutter empörte sich wider diese Zumutung und lehnte alle Unterstützungen schroff ab. Sie erzog mich selbst Sie ersparte mir keine Schilderung des Egoismus der Liebe. Sie weihte mich ein in ihre Irrgänge und zeigte auf die vier kahlen Wände,[79] zwischen denen wir hausten. Das sei in den meisten Fällen der Schluß. Sie wurde immer kränker, mußte sich zu Bett begeben und überließ mir die Führung unserer kleinen Wirtschaft. Ich war keine gute Haushälterin. Ich berauschte mich an den Schätzen verschiedener Leihbibliotheken. Mutter starb zur rechten Zeit. Ein halb Jahr später hätten wir betteln gehn können, ihr letztes Edelsteinchen – doch du besitzt es ja.«

»Es ist nicht mehr wert, als eine Woche Lebensunterhalt kostet.«

»Wenn wir nicht schon seit meiner Kindheit genügsam wie zwei Sperlinge gelebt hätten, wären wir schon längst verdorben. Meine aristokratische Mutter verstand nur brotlose Künste.«

»War sie so schön wie du, Marie Therese?«

»Bin ich schön? Ich weiß es nicht.«

»Dein Haar ist wie reifes Korn, dein Mund wie junge Mohnblüten, deine Augen gleichen zwei schwarzen Waldseen, auf denen verstohlene Sonnenlichter tanzen. Über deine ganze hohe, schlanke Gestalt geht ein Wiegen und Wogen. Geheimnisvoll schmiegen sich deine Gewänder an dich an. Selbst wenn ein Windstoß sie bewegt, flattern sie nicht, sondern schließen sich enger um dich. Jetzt ist's ein Jahr her, daß mir von weißen Büschen träumte, deren Blüten aus Perlen bestanden.«

»Pflücktest du eine davon?«[80]

»Nein, aber ich lernte dich an dem Tag kennen, der dieser Traumnacht folgte.«

Beide schwiegen. Es verging wohl eine halbe Stunde. Dann neigte sie sich über ihn. Die Lider lagen auf seinen Augen. Er schlief. Sie beobachtete ihn. Als er nach einer geraumen Zeit erwachte, war es dunkel im Zimmer geworden.

»Dein Antlitz leuchtet,« flüsterte er, »ich sehe Lichter in deinen Augen blitzen.«

Sie faßte nach seiner fiebernden Hand. »Höre, Leonhart. Weißt du, was das Dümmste auf Erden ist? Ja? das Sparen.« Er nickte. »Laß deinen Lehrstuhl fahren und geh' nach dem Süden.«

»Und wovon sollen wir leben?«

»Ich werde für dich arbeiten.«

»Willst du zum zweitenmal ein barfüßig Prinzeßlein werden?«

»Du sollst ganz von meiner Gnade abhängig sein, wär' das nicht herrlich?«

»Der Mann pflegt das Weib zu erhalten, nicht umgekehrt.«

»Pflegt, was heißt das? Weil das Weib meist schwächer als er ist. Das verächtliche ›pflegt‹! Vergessen wir es.« Sie erhob sich und trat ans Fenster. Drüben, an einem der beschneiten Bäume der Allee, lehnte eine dunkle Männergestalt.[81]

Quelle:
Maria Janitschek: Frauenkraft. Berlin 1900, S. 73-82.
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