1.

»Hast du schon einen Platz ausgesucht?«

»Ja ich habe schon einen Platz ausgesucht.«

»In welcher Gegend der Stadt liegt er?«

»Der Stadt? Was fällt dir ein! Du weißt ja, ich kann das Gemäuer nicht leiden. Ich muß freien Himmel sehen wenn ich mich wohlfühlen soll. Willst du, so komm mit, ich will dir die Baustelle zeigen.«

»Nein, jetzt kann ich nicht mit dir gehen. Siehst du das, was ich hier in der Hand halte?«

»Was ist es denn?«

»Nähseide ist es. Meine Schneiderin erwartet mich zu Hause.«

»Ah bah, die Schneiderin! Laß sie warten.«

»Nein, das kann ich nicht.«

»Nun dann will ich dich mindestens heimbringen.«[161]

»Wie oft sind wir einander heute schon auf der Straße begegnet?«

»Ich glaube erst drei Mal.«

Sie lächelte. »Ich mußte alle Einkäufe selbst besorgen. Lina backt und die Schneiderin –«

»O diese verruchte Schneiderin!«

»Kommt dort nicht Malling?«

»Jawohl, laß ihn kommen.«

Sie schritten ein Stück Weges nebeneinander hin, dann blieben sie vor einem Hause stehen.

»So, nun wären wir da. Adieu Ralph.«

»Adieu? O du irrst. Ich gehe mit dir hinauf.«

»Wieso? Du weißt doch die Schneiderin –«

»Ich werde ihr das Genick umdrehen.«

»Aber Ralph!«

»Aber Anselma!«

»Weshalb hat Malling nicht gegrüßt?«

»Was weiß ich!«

»Du gehst nicht mit hinauf.«

»Laß dich doch nicht auslachen, Kind. Die ganze Stadt weiß, daß wir uns heiraten, daß du es bist, die die Vermählung hinausschiebt. Niemand findet etwas Unerlaubtes darin, wenn ich Frau Anselma Birkmann Nachmittag um fünf Uhr einen Besuch abstatte.«

Mit einem gewandten Schritt sprang er ihr voraus[162] die Treppe hinauf und klingelte heftig. Die alte Wirtschafterin öffnete.

»Jesses, der Herr Baumeister! Die gnä Frau ist ausgegangen.«

»Jawohl, aber sie kommt eben zurück. Sehen Sie, da kommt sie schon. Kochen Sie uns rasch einen guten Kaffee. Du erlaubst doch, Schatz?«

Anselma war heraufgekommen und trat in den Korridor.

»Aber die –«

»Lina, Lina!«

»Herr Baumeister!«

»Bitte, wo arbeitet die Schneiderin?«

»Im Plättzimmer.«

»Aha.«

Er verschwand durch eine der Thüren. Gleich darauf hörte man von drinnen lautes Gelächter. Anselma hing Hut und Mantel an den Kleiderhaken und trat in die Stube neben der Küche.

Vor dem Baumeister stand mit strahlendem Gesicht ein junges Mädchen. Etliche Fäden hingen an ihren Kleidern.

»Gnädige Frau, soeben ist mir verboten worden, weiterzuarbeiten.«

»Ja nicht wahr, für heute hat sie genug gethan? Morgen muß ich über Land fahren.«[163]

Das junge Mädchen lächelte.

»Also dann nächste Woche, gnädige Frau. Bis dahin ist meine Zeit besetzt.«

»Ach was, Sie kommen morgen.«

»Kann nicht, habe bei der Frau Leutnant schon zugesagt.«

»So sagen Sie wieder ab.«

»Geht nicht.«

»Himmeldonnerwetter alles geht. Sagen Sie – sagen Sie, Frau Birkmann brauche unbedingt bis Sonnabend ihr neues Kleid, basta. Wenn Sie morgen punkt acht Uhr nicht da sind, hole ich Sie beim Schopf, verstanden? Adieu!«

Er legte seinen Arm um Anselmas Taille. »Laß uns ins Speisezimmer gehen.«

Sie gingen hinüber.

»Bist du mir böse?«

»Du stellst die Welt auf den Kopf.«

»Die Welt ist eine Dame und will gern auf den Kopf gestellt sein, glaub mirs.«

»Was kommt bei deiner Wildheit Gutes heraus?«

»Was dabei herauskommt? Bah! was kümmert mich das? Ich thue, was mir recht dünkt, du liebe kleine Angstmeierin, du!« Er sah ihr in das schmale blasse Gesicht mit den braunen treuen Augen. Er[164] streichelte ihr dunkles lockiges Haar; dann maß er mit großen Schritten das Zimmer.

»Dieses ewige sich Gedulden, dieses Warten, Rücksicht nehmen, Geniertthun, – der Teufel hols.«

Sie hatte sich niedergelassen und sah zu ihm auf. Er ist wie ein Urmensch, voll stählerner Kraft in den Gliedern, voll Lebenslust in dem blühenden männlich schönen Gesicht. Sein blondes Haar sträubt sich in dichten Ringeln über der breiten Stirn.

»Ralph!«

Er blieb vor ihr stehen. »Lauf nicht so hin und her, mir wird schwindlig.«

»Ach ich armer Kerl! Nu soll ich nicht einmal mehr auf- und niedergehen! Darf ich dich küssen?«

»Nein.«

»Hahaha!« Er warf die Arme um sie, hob sie an seine Brust und bedeckte ihr Gesicht mit zahllosen Küssen.

»Der Kaffee ist fertig.« Lina stand unter der Thür des Eßzimmers, das Kaffeebrett in der Hand.

»Der Kaffee? Gleich. Stellen Sie ihn nur auf den Tisch.« Er sah halb über die Schulter weg nach der Dienerin, ohne Anselma loszulassen. Ein Geklapper von Tassen, dann schloß sich die Thür.

Etwas schluchzte an seiner Brust.[165]

»Du weinst doch nicht?« Er hob ihr Gesicht mit beiden Händen zu sich auf.

»Richtig, sie weint.« Er trug sie in den Schaukelstuhl, zog diesen zum Tisch und ließ sich neben ihr nieder.

»Anselma, Anselma, hör! Trink jetzt Kaffee und hör auf zu weinen. Ich muß bald fort. Ich hab dir nichts Böses gethan. Dich zu küssen ist mein gutes Recht, wir heiraten in einigen Monaten. Weine nicht, sonst glaub ich, es sei wegen der Schneiderin und dann muß ich dich auslachen.«

Anselma trocknete ihre Augen und schenkte Kaffee ein.

»Wegen der Schneiderin wein' ich nicht; so gut kennst du mich doch. Dein ungestümes Wesen gefällt mir nicht. Du wirst immer wilder.«

»Selbstverständlich. Bis du meine Frau geworden bist.«

»Das mag ich aber nicht an dir.«

»Mädel, Mädel, lüg mir nichts vor. Du hast mich ganz gern, so wie ich bin, blos schämst du dich. Du schämst dich vor deiner Köchin, vor deinem Spiegel, vor dem Kanarienvogel im Bauer, vor den Möbeln.«

»Und vor mir selbst?«

»O da schämst du dich garnicht. Als dein Mann gestorben war und ich anderthalb Jahre lang zu meiner heißen nun erlaubten Liebe: morgen, morgen! sagte, um[166] dir nicht als roh zu erscheinen, und endlich den ersten besten Vorwand herbeizog, um mich persönlich dir zu nähern, und bald darauf dir meine Liebe gestand und dich um deine Hand bat, in meiner Art, alles in meiner Art, da erblickte ich an dir keinen Abscheu gegen mich.«

»Nein!« Sie setzte die zum Munde erhobene Tasse wieder hin. »Dein Sturm war mir neu; ich war an die Stille gewöhnt. Ich ließ mich von ihm durchschütteln und zitterte vor Ueberraschung. Engelbert war so stumm, sein ganzes äußeres Leben war ein großes Verschweigen seines Innern. Ich unterdrückte meine lautesten Gedanken, wenn ich zu ihm sprach und alles – wie soll ich sagen: Menschliche, Irdische –«

»– Weibliche« »versteckte seine Natur vor seinen reinen Blicken.«

»Und wie lange dauerte dieses Versteckenspiel? Drei Jahre dünkt mir.«

»Ralph!«

»Laß mich, ich rede ihm ja nichts Böses nach.«

»Er war kein Mensch, er war ein Heiland, vor dem man auf den Knieen liegen und beten mußte.«

»Ah!« Der Baumeister sprang auf. »Kind, mein Kind, wenn ich – nein! ich will schweigen. Aber sieh, so viel kann ich dir sagen, wenn in einer Ehe beide, Mann und Frau, Heilige, Asketen, Engel, unschuldige[167] Kinder sind, oder wie du sie sonst bezeichnen willst, giebts ein großes Elend. Diese Ehe gleicht einem glimmenden Feuer, das nur raucht, aber das Haus nicht erwärmt, einem Hungrigen, der vor gemalten Schüsseln die Zähne knirscht. Hör, Anselma! Dein Mann war ein braver Lehrer, den seine Schüler liebhatten, und den seine Mitbürger hochachteten, aber das Weib verstand er nicht. Jedoch, über dieses Thema will ich lieber nicht weiter mit dir reden. Besser, ich gehe. Leb wohl, meine kleine süße Braut. Auf übermorgen!«

Bevor sie noch ein Wort der Entgegnung gefunden, war er draußen. Sie lehnte die Stirn gegen die Tischkante. Ein Schauer ging über ihren Leib. Sie fühlte, daß Ralph recht hatte und erschrak darüber. Wenn zwei gleichwertig sind in der Ehe, ists ein großes Elend. Eine solche Verbindung ist überhaupt keine Ehe. Der Eine von beiden muß Brandstifter sein....

Engelbert erhob sich vor ihr in seiner stillen Schönheit, der schon in frühen Jahren der Tod seine Majestät aufgedrückt hatte. Er war dunkeläugig, schlank, nicht größer als sie. Er sah ihr fast ähnlich. Die Berührung seiner feinen kleinen Hände glich einer sanften Liebkosung.

Seine Stimme, immer etwas umflort, besaß trotzdem hohen Wohllaut. Ihn sehen und lieben, ihn sehen und gut werden war eins. Niemand widerstand dem[168] Zauber, der von diesem edlen Menschen ausging. Das war ihr Mann gewesen. Und sie hatte wie eine weiße Blume, scheu und rein, neben ihm geblüht. Er hatte sie gehegt, wie man etwas Heiliges hegt....

Zwei große Thränen rannen ihre Wangen herab.

Wie wenig hatte sie ihm eigentlich für seine Liebe gegeben. Ihr Schweigen und ihre Treue. Und nach seinem Tode hatte sie seinen Namen heilig gehalten. Sie wußte wohl, daß die Ehebrecherin an Verworfenheit dem Weibe nachsteht, das, so lange es den Namen des toten Gatten trägt, nicht auch dessen Würde heilig hält. Schmutzige, erbärmliche Kreaturen waren an sie herangetreten und hatten ihr ins Ohr geflüstert: »Du bist ja jetzt frei, thu doch, was dich freut.«

Sie hatte ihnen die Thür gewiesen.

Dann war der Sturm in ihr Haus gekommen, Ralph, der Laute, Wilde, Ehrliche.

»Werde mein Weib!« hatte er ihr zugerufen, »leg seinen Namen zu den Blumen auf seinem Grabe und folge mir.«

Und ohne ihr Zeit zur Antwort zu lassen, hatte er sich ihrer bemächtigt, hatte er mit rücksichtslosen Händen alle Schleier, allen Zauber ihres seelischen Magdtums von ihr gerissen.

»Herein! Du bist es Lina. Nimm das Kaffeegeschirr nur fort«.[169]

»Du lieber Gott! Schon wieder Thränen!«

»Ach was!«

»Er ist zu wild, das taugt nichts. Er verzehrt Sie ja.«

»Was kann ich thun?«

»Ihn schnell heiraten.«

»Das – das sagst du

»Na ja, oder Sie werfen ihn hinaus! Eins von beiden. So fortgehen kanns doch nicht.«

»Und meinst du, daß er nach – wenn ich seine Frau wäre, anders würde?«

»Er wird nicht anders, aber Sie werden es.«

»Ich?«

»Gewiß. Sie werden eine Frau werden; bis jetzt lebten Sie ja doch eigentlich wie ein Mädchen.«

»Ach Lina, du bist närrisch.«

»Schauen Sie in den Spiegel.«

»Nun?«

»Sehen Sie, wie rot Sie geworden sind?«

»Nun ja, und –?«

»Eine Frau errötet nicht ununterbrochen.«

»Ach, schwatze nicht! Sag mir eins.«

»Ja.«

»Was würde – mein Mann zu alledem meinen?«

»Kein Wort. Er würde beide Hände auf Ihre Stirn legen.«[170]

»Und dann? Wenn ich ihn fragte?«

Die Alte drückte das Kaffeebrett an sich. »Ach Gott nein!« – Sie wandte sich zur Thür.

»Lina, geh nicht. Rede!«

»Wenn er nichts antwortete, würden Sie schon selbst darauf kommen, daß in der Frage ja bereits die Antwort liegt.«

»Lina, du bist weiser, als ich dachte.«

Die Alte entfernte sich. »Dreiundzwanzig Jahre alt« murmelte sie im Hinausgehen. »Der Herrgott wird ihrs verzeihen.«

Quelle:
Maria Janitschek: Kreuzfahrer, Leipzig 1897, S. 159-171.
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