13. Summula

[122] Theodas ersten Tages Buch


Die Destillation hinabwärts (dest. per descens.), wie der Doktor den Grabenfall nannte, brachte manches Leben in den Abend. Er selber behielt alles an und war sein Selb-Trockenseil.

Nieß konnte die Einsamkeit der abwaschenden Wiedergeburt zum Nachschüren von neuem Brennstoff für Theoda verwenden. Er sann nämlich lange auf treffliche Sentenzen über die Liebe und grub endlich folgende in die Fenstertafel seines Zimmers: »Das liebende Seufzen ist das Atmen des Herzens. – Ohne Liebe ist das Leben eine Nacht in einer Mondverfinsterung; wird aber diese Luna von keiner Erde mehr verdeckt, so verklärt sich mild die Welt, die Nachtblumen des Lebens öffnen sich, die Nachtigallen tönen, und überall ist Himmel. Theudobach, im Junius.«

Theoda schrieb eiligst folgende Tagebuchblätter, um sie dem Mehlhorn noch mitzugeben:

»Du teures Herz, wie lange bin ich schon von dir weg gewesen, wenn ich Zeit und Weg nach Seufzern messe! Und wann werd' ich in dein Haus springen oder schleichen? Gott verhüte[122] letztes! Ein Zufall – eigentlich ein Fall in einen Graben – hält uns alle diese Nacht in Huhl fest; leider kommen wir dann erst morgen spät in Maulbronn an; aber ich habe doch die Freude, deinem guten Manne mein Geschreibsel aufzupacken. Der Gute! Ich weiß wohl, warum du mir nichts von seiner gleichzeitigen Reise gesagt; aber du hast nicht recht gehabt. Mein Vater setzte auf eine Stunde den raffinierten Zuckerhut Würfel in den Wagen; seine Weste litt sehr beim Umwerfen. Insofern war mirs lieb, daß dein Mann nicht mitgefahren; wer steht für die Wendungen des Zufalls? – Ich habe, Herzige, deinen Rat – denn in der Ferne gehorcht man leichter als in der Nähe – treu befolgt und heute fast nichts getan als Fragen an den Edelmann über den Dichter. Dieser ist selber – höre – bloß die beste erste Ausgabe seiner Bücher, eine Prachtausgabe, wenn nicht besser, wenigstens milder als seine Stachelkomödien. Niemand hat sich vor seinem Auge oder Herzen zu scheuen. Er lief schon als Kind gern auf Berge und in die Natur; und so war er auch schon als Kind vor seinem neunten Jahre unsterblich verliebt. Närrisch ists doch, daß man dergleichen an großen Menschen als so etwas Großes nimmt, da man ja bei sich und andern nicht viel daraus macht. Herr von Nieß erzählte mir eine köstliche, längst abgeschloßne Geschichte von seiner ersten Liebe, als eines Knaben voll Zärte und Glut und Frömmigkeit; sie soll dir ein mal wohltun, wenn ich sie dir in dein Wochenbett hineinwerfe. Nur machts der liebe Vater durch Mienen und Worte jedem gar zu schwer, dergleichen vorzutragen – anzuhören weniger, denn ich bin an ihn gewöhnt –; er wirft oft, wie du ja weißt, Eisspitzen ins schönste Feuer, auf die niemand in ganz Pira gefallen wäre, und bringt damit den Gerührtesten zum Lachen. Er nennt unser ewiges Sprechen über unsern Dichter ein holländisch-langes Glockenspiel. Freilich kennt ihn Herr von Nieß nicht oder will es nicht; so seltsam fragt er ihn an. Ich habe dir ihn überhaupt noch nicht gemalt, so mag er mir denn sitzen auf dem Kutschenkissen. Recht klug wird man nicht aus ihm; er wirft nicht sich, aber das Geld weg (fast zu sehr) – Er schimmert und schneidet, wie der Demant in seinem Ringe; und ist doch weich dabei und stets auf der Jagd nach warmen[123] Augenblicken – Ein Held ist er auch nicht, ja nicht einmal eine Heldin; vor dem kleinsten Stachelchen fährt er in die Bienenkappe – wie ich dir nachher meine eigne Perücke als Beweis und Bienenkappe vorzeigen will – Übrigens hat er alle nachgiebige Bescheidenheit des Weltmannes, der sich auf die Voraussetzung seines Werts verläßt – und dabei fein-fein und sonst mehr. – Dies ist aber eben der Punkt: von sich spricht er fast kein Wort, unaufhörlich von seinem Jugendfreunde, dem Dichter, gleichsam als wäre sein Leben nur die Grundierung für diese Hauptfigur. Auffallend ists, daß er nicht mit dem feurigen Gefühl, wie etwan ich, von ihm redet, sondern fast ohne Teilnahme (er berichtet bloß Tatsachen), so daß es scheint, er wolle nur meinem Geschmacke zu Gefallen reden und dabei unter der Hand für jemand anders den Angelhaken auswerfen als für unsern Theudobach. Zwischen diesem Namen und dem meinigen find' er etymologisch, sagt' er, nur den Unterschied des Geschlechts, worüber ich ordentlich zusammenfuhr, weil ich nie darauf gefallen war. Aber, warum sagt er mir solches angenehme Zeug, da er doch sieht, daß er mich nur durch ein ganz fernes Herz in Flammen setzt? Eilte dein Mann nicht so fürchterlich: wahrlich, ich wollte vernünftig schreiben. Ich sage dir Donnerstag alles, wenn es auch der Freitag widerlegt. In der Fremde ist man gegen Fremde (ja gegen Einheimische) weniger fremd als zu Hause; ich fragte geradezu Herrn von Nieß, wie der Dichter aussehe. ›Wie stellen Sie sich ihn denn vor?‹ fragt' er. ›Wie die edleren Geschöpfe dieses Schöpfers selber‹ (versetzt' ich) – ›Er soll und wird aussehen wie ein nicht zu junger Ritter der alten Zeit – vorragend auch unter Männern – Er muß Augen voll Dichter- und Kriegerfeuer haben, und doch dabei solche Herzens-Lieblichkeit, daß er sein Pferd ebensogut streichelt als spornt und ein gefallnes Kindchen aufhebt und abküßt, eh' ers der Mutter reicht – Auf seiner Stirn müssen ohnehin alle Welten stehen, die er geschaffen, samt den künftigen Weltteilen – Köstlich muß er aussehen- Der Bergrücken seiner Nase.....‹ – (Hier, Bona, dacht' ich an deinen Rat.) ›Nun Sie haben ja die Nase selber gesehen, und ich gedenke, das auch zu tun.‹[124] Hierauf versetzte Herr von Nieß: ›Vielleicht sollt' er, Demoiselle, diese Gestalt nach Maler-Ideal haben; aber leider sieht er fast so aus wie ich.‹

Gewiß hab' ich darauf ein einfältiges Staun-Gesicht gemacht und wohl gar die Antwort gegeben: ›Wie Sie?‹ – Überhaupt schien meine zu lebhafte Vorschilderei seines Freundes ihn nicht sonderlich zu ergötzen. – ›Theoda und Theudobach‹ – fuhr er fort – ›behalten ihre Ähnlichkeit sogar in der Statur; denn er ist so lang als ich.‹ – ›Nein‹, unterfuhr ich, ›dann ist er kürzer als ich; eine Frau, die so lang ist als ein Mann, ist länger als ein Mann.‹ – Es schwollen beinahe Giftblasen mir auf, gesteh' ich gern. Es verdroß mich das ewige Prahlen mit der körperlichen Ähnlichkeit Theudobachs bei so wenig geistiger. Ich denke an seine unritterliche Furcht und an meine Perücke beim Wagen-Umwurf. Er wollte sich an meinen Kopf anhalten, um seinen zu retten. Raufen aber ist eine eigne Weise, einem Mädchen den Kopf zu verrücken. Mein Vater wird ihn mit dieser Perücke, womit er in die Grube gefahren, noch oft fegen, wie die Bedienten in Irland damit die Treppen kehren.

Freilich wars an ihn eine dumme Mädchenfrage, die ich nachher getan, wie ich dir beichten will. Aber wer machts denn anders? Die Leserinnen eines Dichters sind alle seine heimlichen Liebhaberinnen – die Jünglinge machen es mit Dichterinnen auch nicht besser –; und wir denken bei einem Genie, der Ehre unseres Geschlechts wegen, zuerst an die Frau, die der große Mann uns allen vorgezogen und die wir als die Gesandtin unseres Geschlechts an ihn abgeschickt. Auf seine Frau sind wir sogar neugieriger als auf seine Kinder, die er ja nur bekommen und selten erzieht. Ob ich mich gleich einmal tapfer gegen meinen Vater gewehrt, da er sagte, an einem Poeten zögen wir den Kniefall dem Silbenfall vor, ein Paar Freierfüße sechs Versfüßen, Schäferstunden den Schäferliedern und wären gern die Hausehre einer Deutschlands-Ehre: so hatt' er doch halb und halb recht. – Die dumme Mädchenfrage war nämlich die: ob der Dichter eine Braut habe. – ›Wenigstens bei meiner Abreise noch nicht‹, versetzte Nieß. – ›O ich wüßte‹, sagt' ich, ›nichts Rührenderes, als eine Jungfrau[125] mit dem Edeln am Traualtare stehen zu sehen, welchen sie im Namen einer Nachwelt belohnen soll; sie sollte mir meine heiligste Schwester sein, und ich wollte sie lieben wie ihn.‹ – ›Wahrlich, Sie könnten es‹, sagte Nieß mit unnütz-feiner Miene.

O Gott, zanke nur hier über nichts, du Hellseherin. Ach mein Gesicht-Lärvchen – wahrlich mehr eine komische als tragische Maske – gibt mir keine Einbildungen, weil ich doch damit keinem Manne gefallen kann als einem halbblinden, der, wie du, nichts verlangt als ein Herz; aber der freilich sollte dieses denn auch ganz haben, mit allen Kammern und Herzehren und Flämmchen darin, und mein kleines Leben hinterdrein.

Ich wollt', es gäbe gar keine Männer, sondern die göttlichsten Sachen würden bloß von Weibern geschrieben; warum müssen gerade jene einfältigen Geschöpfe so viel Genie haben, und wir nichts? – Ach, wie könnte man einen Rousseau liebhaben, wenn er eine Frau wäre!

Gute Nacht, meine Seele! So viel Himmel, als nur hineingeht, komme in dein Herzchen!

Th.«

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 122-126.
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