26. Summula

[203] Neuer Gastrollenspieler


Jetzt in den Monaten, wo ich die 26ste Summel für die Welt bereite und würze, ist es freilich sogar der Welt bekannt, wer ankam; aber am beschriebenen Abende war noch Maulbronn selber darüber dumm.

Der eintretende Mann schrieb sich Herr von Theudobach, Hauptmann in preußischen Diensten. Nach altdeutschem Lebens-Stil war er noch ein Jüngling, das heißt 30 Jahr alt – und nach seinem blühenden Gesicht und Leben war ers noch mehr. Seine dunkeln Augen glühten wie einer wolkigen Aurora nach, weil er sie bisher noch auf keine andere Figuren geworfen als auf mathematische in Euler und Bernoulli, und weil er bisher nichts Schöneres zu erobern gesucht, als was Koehorn, Rimpler und Vauban[203] gegen ihn befestigt hatten. Unter diesem mathematischen Schnee schlief und wuchs sein Frühling-Herz ihm selber unbemerkt. Vielleicht gibt es keinen pikantern Gegenschein der Gestalt und des Geschäfts, als der eines Jünglings ist, welcher mit seinen Rosenwangen und Augenblitzen und versteckten Donnermonaten der brausenden Brust sich hinsetzt und eine Feder nimmt und dann keine andere Auflösung sucht und sieht als eine – algebraische. Gott! sagen dann die Weiber mit besonderem Feuer, er hat ja noch das ganze Herz, und jede will seinem gern so viel geben, als sie übrig hat von ihrem. Dieser Hauptmann hatte nun auf seiner Reise durch das Fürstentum Großpolei zufällig in der Zeitung gelesen: der durch seine Schriften bekannte Theudobach werde das Maulbronner Bad besuchen. »Das ich doch nicht wüßte!« sagte der Hauptmann, weil er von sich gesprochen glaubte, indem er mehre kriegmathematische Werkchen geschrieben. Von Nießens Namenvetterschaft und Dichtkunst wußt' er kein Wort. Unter allen Wissenschaften bauet keine ihre Priester so sehr gegen andere Wissenschaften ein als die sich selber genügsame Meßkunst, indes die meisten andern die Meßrute selber als eine blühende Aarons-Rute entlehnen, die ihnen bei Priesterwahlen raten helfen soll. Ich kann mir Mathematiker gedenken, die gar nicht gehöret haben, daß ich in der Welt bin, und die also nie diese Zeile zu Gesicht bekommen. »Es sind folglich«, schloß der Hauptmann, »nur zwei Fälle denkbar: entweder irgendein literarischer Ehrenräuber gibt sich für mich aus, und dann will ich ihm öffentlich die Meßrute geben – oder es treibt wirklich noch ein Wasserast und Nebensprößling meines Stammbaums, was mir aber unglaublich – in jedem Falle sind fünf Meilen Umweg so viel als keiner für einen solchen Prüfung-Zweck.«

Sein Erstaunen, aber auch sein Zürnen – denn das Zornfeuer der Ehre hatte bisher ganz allein in ihm neben dem wissenschaftlichen Feuer und Lichte gebrannt – erstieg einen hohen Grad, da er in Maulbronn von seinem entzückten Wirte hörte: ein Herr von Nieß habe schon heute nach einem Brief, den er von Herrn von Theudobach erhalten, dessen Ankunft angesagt; und alles werde sich im Deklamatorium über seinen Eintritt entzücken, zumal[204] da etwas von ihm vorgelesen werde. Der Wirt trug sogar Vorsorge, ihm unter dem Deckmantel eines Wegweisers seinen Sohn mitzugeben, welcher der Wirttochter, weil sie belesen und mit darin war, sogleich das ganze Signalement des neuen Zuhörers durch drei Worte ins Ohr zustecken sollte.

Als der Hauptmann eintrat, blickten ihn die übrigen weiblichen Augen an, ausgenommen nur ein Paar: Theoda sah unter dem Vorlesen keine Gesichter als – ihre innern und bloß zu den poetischen Höhen hinauf. Noch ehe die Wirttochter die Nachricht von Theudobachs Ankunft wie einen elektrischen Funken hatte durch die Weiber-Ohrenkette laufen lassen: hatten sich schon alle Augen an den Hauptmann festgeschraubt. Denn immerhin halte Christus auf einem Berge seine Predigt oder auf dem Richterstuhle sein Jüngstes Gericht: es ist unmöglich, daß die Frauen, die davon erbaut oder gerührt werden, nicht mehre Minuten den Heiland vergessen und sich alle an den ersten Kirchengänger und Verdammten heften, der eben die Gesellschaft verstärkt; sie müssen sich umdrehen und schauen und einander etwas sagen und wieder nachschauen.

Ich will setzen, mein zweiter Satz wäre wahr, daß für das Weiberherz ein Federbusch auf dem Mannskopfe mehr wiege als ein ganzer Bund gelehrter Federn hinter dem Ohre, weil mein erster richtig wäre, daß interna non curat Praetor, oder wörtlich übersetzt, daß eine Frau vor allen Dingen gern wissen will, wie ein Mann von außen aussieht: so hätt' ich ziemlich erklärt, warum der junge Mann mit seinem Federbusch-Hut in der Hand, mit seinem Jünglingblicke und seiner Mannkraft und selber mit einigen Krieg- und Blatternarben, ja sogar mit dem düstern Feuer, womit er dem Vorleser nachsah und nachhörte, den ganzen weiblichen Hör- und Sitz-Kreis wie in einem Hamen gefangen und schnalzend aus dem Wasser emporhob. Jetzo schlug vollends die Nachricht der Wirttochter von einem beringten Ohre zum andern: der da sei's, der Dichter.

Theoda hörte es, sah auch hin – und sie und ihr Leben wurden wie von einem ausgebreiteten Abendrote überzogen. Wie ein stiller Riese, wie eine stille Alpe stand er da; und ihr Herz war[205] seine Alpenrose. – Irgend einmal findet auch der geringste Mensch sei nen Gottmensch, und in irgendeiner Zeit findet er ein wenig Ewigkeit; Theoda fands.

Der Vorleser, den die fremde Bewunderung seines Lesestücks hinriß in eigne, und der unter allen Empfindungen diese am innigsten mit dem Hör-Kreis teilte, hatte jetzo, wo die eigentliche Höhe und Bergstraße seiner Schöpfung erst recht anging, gar nicht Zeit, die Ankunft, geschweige die Gestalt und die Einwirkung des Kriegers wahrzunehmen. Er stand eben an der zweiten Hauptstelle seines Gesangs (der Anfang war die erste), am Schwanengesange, am Ende-Triller; denn wie im Leben die Geburt und der Tod, im Gesellschaftzimmer der Eintritt und der Austritt die beiden Flügel sind, womit man steigt oder fällt, so im Gedichte – Nieß konnte also nicht unaufhaltsam genug stürmen und laufen und deklamieren und sich begleiten lassen von Musik, um, wie ein Gewitter, gerade den stärksten und entzündendsten Schlag beim Abzuge zu tun.

Indes hören mitten in diesem Gerassel von poetischen Streit- und Siegwagen Vorleser eigner Sachen gleichwohl manches leise Wort, das darüber ausfliegt. Nieß vernahm mitten im Dichter-Sturm sehr gut Theodas Wort: »Ja er ists und hat sich selber kopiert im Ritter.« – »Und tut doch immer,« sagte die Nachbarin, »als ginge ihm das ganze Gedicht nichts an.« Es war Nießen auf keine Weise möglich, bei solchen Aussprüchen, daß er da sei und sich im alten Ritter selber getroffen habe, und bei dem allgemeinen Klatschen und Anblicken und Anfragen der Bewunderung, sich etwa in den Kopf zu setzen, er sei gar nicht gemeint, nur der neue Soldat. Sondern eine wärmere Minute und höhere Stelle, um sich zu enthüllen und zu entwölken, – dies sah er wohl ein – könnte kein Sternseher für ihn errechnen, als der Kulmination- und Scheitelpunkt war, den er eben vor sich hatte, um die Wolke des Inkognito seinem Phöbus auszuziehen. Zum Glück war er früher darauf gerüstet und hatte daher – da er längst wußte, daß die Menschen die ersten Worte eines großen Mannes, sogar die kahlsten, länger behalten und umtragen als die besten nach einem Umgange von Jahren – schon auf der Kunststraße,[206] zehn Meilen vom Lesesaal, folgende improvisierende Anrede ausgearbeitet:

»Ehrwürdige Versammlung, fänd' ich nur die ersten Worte! Auf eine solche Sympathie einer so gebildeten Gesellschaft mit mir durft' ich ohne Eigenliebe nicht rechnen. Aber eine Herzergießung verdient die andere, und ich gebe mich willig dem Ungestüm der Augenblicke preis. Möge, ihr Herrlichen, euch jeder Schleier des Lebens so abgehoben werden als jetzt, und nie decke sich euch ein Leichenschleier statt eines Brautschleiers auf. – Ich war nämlich mein eigner Vorläufer; denn ich bin wirklich der Theudobach, dessen Ankunft ich auf heute in Briefen ansagte.«

»Der sind Sie nicht, mein Herr,« – sagte der Hauptmann – »ich heiße von Theudobach – Sie aber, wie ich höre, Herr von Nieß. – Was Sie für Ihre Werke ausgeben, sind ganz andere und die meinigen.«

Nieß blickte ihm ganz erstarrt ins Gesicht. – Besonnener springt der Mensch plötzlich zu hoch als zu tief – Theudobach stand fast gebietend mit seinem Macht-Gesicht, Krieger-Auge, hohen Wuchs neben dem zu kurzen Dichter, von welchem nun jedes Weiber-Auge abfiel; aber er ermannte sich und sagte: »Ich kenne Sie nicht, aber Deutschland mich.« – -»Herr von Nieß,« versetzte Theudobach, »dasselbe ist gerade mein Fall.«

Unversehends trat Theoda, welche längst vor Begeisterung unbewußt aufgestanden war, aus der verblüfften Schwester-Gemeine heraus vor Theudobach und sagte zu ihm im hohen Zürnen gegen den vieldeutigen Nieß: »Sie sind der Mann, den wir alle achten, oder aller Glaube lügt.« Der Hauptmann sah das kühne Feuer-Mädchen verwundert an und wollte erwidern; aber Nieß rief zornig dazwischen: »An mich haben Sie geschrieben, nicht an diesen Herrn, meld' ich jetzt, und ich an Sie.« – »O Gott, ich?« sagte Theoda.

»Mein Name Theudobach, Herr von Nieß, ist kein angenommener, ich habe nur einen; und es gibt nur meinen noch in der Welt; Sie führen eingestanden zwei, wovon ich nur den meinigen reklamiere und Ihnen den Ihrigen billig lasse. In der allgemeinen deutschen Bibliothek können Sie meinen Namen Theudobach[207] neben meinem rezensierten Werke finden. Jede andere Erklärung können wir uns an andern Orten geben«, setzte er mit einigen Blicken hinzu, die sehr gut als Funken auf das Zündpulver einer Pistole fallen konnten.

»Sehr gern!« versetzte Nieß, um nur zuerst auf der Adelprobe zu bestehen; aber auf das Vorhergehende konnte er kein Wort zurückgeben vor Überfülle von Antworten. Wer zu viel zu sagen hat, sagt meistens zu wenig, Nieß noch weniger.

Noch habe ich in der allgemeinen Welt-Geschichte von Essig und Zopf – die ohnehin mein Fach nicht ist, weil ich vielmehr selber eines in ihr füllen und fodern will – kein rechtes Beispiel (unter so vielen abgesetzten Günstlingen und Königen) aufgetrieben, das einigermaßen dazu taugen könnte, Nießens Falle und Verfalle die gehörige Beleuchtung zu geben, wenn jemand sehen wollte, wie einem Manne zumute gewesen, den man auf einmal vom Musenberge auf die Quartanerbank, vom Throne eines Sonnen-Gottes auf den Altar seiner Opfertiere, die er vermehren soll, oder von Allem zu Nichts herunterwirft – – Gehenkte, auf den Zergliederungtischen erwachend unter dem Messer anstatt im Himmel, sind nichts dagegen.

»O, ich bin stolz!« sagte Nieß und ging davon.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 203-208.
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