28. Summula

[209] Darum


Man hielt ihn für den großen Theater-Dichter, dessen Stücke die meisten gehört. Ich will eine kurze Abschweifung und Summel daranwenden, um zum Vorteil der Bühnen-Dichter zu zeigen, warum sie leichter größere Eitelkeit-Narren werden als ein anderer Autor. Wie fallt erstlich der letzte mit seinen verstreueten Leser-Klausnern – ein wenig verehrt von bloßen gebildeten Menschen – beklatscht in den hundert Meilen fernen Studier-Zimmerchen und zweimal hintereinander gelesen, nicht vierzigmal angehört, wie fällt ein solcher Ruhm-Irus und Johann ohne Land schon ab gegen einen Bühnen-Dichter, der nicht nur diese Lorbeer-Nachlese auch auf dem Kopfe hat, sondern ihr noch die Ernte beifügt, daß der Fürst und der Schornsteinfeger und jedes Geschlecht und Alter seine Gedanken in den Kopf und seinen Namen in den Mund bekommen – daß oft die erbärmlichsten Marktflecken, sobald glücklicherweise ein noch elenderes Maroden-Theater von Groschengaleristen einrückt, sich vor den knarrenden Triumphkarren vorspannen, worauf jene den Dichter nachführen, so daß, wenn gar der Dichter die Truppe selber dirigiert, er an jedem Orte, wo beide ankommen, den englischen Wahlkandidaten gleicht, die auf vielen Wagen (Lord Eardley auf funfzig) die Wahlmänner für den Sitz im Hause der Gemeinen an[209] den Wahlort bringen lassen. – Noch hundert Vorteile könnt' ich vermittelst der Auslaßfigur (figura praeteritionis) anführen, die ich lieber weglasse, solche z.B., daß einen Theaterautor (und oft steht er dabei und hört alles) eine ganze Korporation von Händen gleichsam auf den Händen trägt (daheim hat ihn nur ein Mann in seiner Linken und blättert mit der Rechten verdrießlich) – daß er auswendig gelernt wird nicht nur von Spielern, sondern am Ende von deren Wiederkehr-Hörern – daß er in allen stehenden, obgleich langweiligen Theaterartikeln der Tag- und Monatblätter stets im selben Blatt von neuem gelobt wird, weil die Bühnen-Schelle immer als Taufglocke seines Namens und das Einbläser-Loch als sein delphisches Loch wiederkommt. – Woraus noch manches folgt, z.B. daß ein gemeiner Autor, wie z.B. Jünger, ja Kotzebue, länger in seinen gehörten Stücken lebt als in seinen gelesenen Romanen. Daraus erklärt sich die Erscheinung, daß das kalte Deutschland sich für Schiller (und mit Recht, denn es sündigte von jeher nur durch Unterlassen, nie durch Unternehmen) so sehr und so schön anstrengt, und für Herder so wenig. Denn mißt der Wert den Dank: so hätte wohl Herder als der frühere, höhere, vielseitigere Genius, als der orientalisch-griechische, als der Bekämpfer der Schillerschen Reflexion-Poesie durch seine Volklieder, als der Geist, der in alle Wissenschaften formend eingriff, und der nur den Fehler hatte, daß er nicht mit allen Flügeln flog, sondern nur so wie jene Propheten-Gestalten, wovon vier ihn bedeckten und nur zwei erhoben, dieser Tote hätte ein Denkmal nicht neben, sondern über Schiller verdient; wären, wie gedacht, die Komödianten nicht gewesen oder das Publikum nicht, das für die Vielseitigkeit wenig anschließende Seiten mitbringt. Übrigens wie man lieber von Personen als von Sachen hört, so steht auch der gewöhnlichste Theater-Dichter als ein Nachttisch-Spiegel, der dem Parterre Personen und dieses selber darstellt, schon darum dem Sachen-Dichter als einem bloßen Juwel voran, der nur Feuerfarben wirft und unverwüstlich nichts darstellt als sich und das Licht. Übrigens ist dies für uns andere Undramatiker eben kein Unglück; denn wir haben uns eben darum zum schönen Lose einer leichtern liebenswürdigen[210] Bescheidenheit Glück zu wünschen, zumal wenn wir berechnen, was aus uns, da jetzo schon ein paar Zeitungen und einige Teetische uns (ich selber kenne mich oft kaum mehr) sichtbar aufblasen, vollends durch das Luftschiff der Bühne für trommelsüchtige Narren geworden wären, so wie Schweinblasen, die schon auf Bergen schwellen, auf Höhen der Luftbälle gar zerplatzen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 209-211.
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