Nr. 34. Inkrustierte Kletten

[812] Kopierstunde


Um 4 Uhr erschien Walt vor dem General, der wie gewöhnlich lächelnd den Blauäugigen aufnahm. Vergeblich hatte er vor einer Erinnerung an den Brief oder einer Erscheinung der Verfasserin gezagt. Zablocki gab ihm die namenlosen oder nur taufnamigen Briefe auf dem schön geäderten Sekretär samt Schreibbefehlen und ging davon. Mit so sehr ausgesuchten End-Lettern oder Final-Schweifen als nur je aus Paris versandt werden nebst viel schlimmern Polaritäten, z.B. Robespierrischen Schweifen, Culs de Paris, kopierte der Notar und sah sich spät um.

Das schöne Kabinett war von den Tapeten zu einer Blumenlaube gemalt, aber voll Blumendüfte, die aus einer wahren kamen, und voll grüner Dämmerung. Die Jalousie-Gitter waren vorgezogen, für ihn ein grüner Schleier eines blendenden Tags; sogar im Winter grünte ihn dieses Blätter-Skelett der vertrockneten bunten Zeit wie ein Zauber an. »In dem nahen Wandschrank hängt er«, sagt' er sich, »Winas himmelblaues Kleid, denk' ich.« Wie auf einer sanftwallenden Wolke saß er und schrieb oft eine briefliche Wendung ab, die sich für seine Lage sehr gut schickte. Es wiegt' ihn auf und nieder, daß er sich doch mit ihr, mit derjenigen in einer Zimmer-Ebene, unter einem Dache befand, mit welcher er das Trauerband derselben Schmerzen trug und die ihm nach dem Untergang der Freundschaftssonne als stiller Liebes-Hesperus fortschimmerte.

Er kopierte mit gespitzten Ohren, weil er (nicht ohne alle Hoffnung) in der Furcht dasaß, daß Wina gar ins Kabinett und[812] an einen oder den andern Sekretär fliege, den hölzernen oder den lebendigen. Indes kam nichts. Er überlegte sehr, ob er nicht in den Wandschrank einbrechen und das himmelblaue Kleid als den blauen Äther der fernen Sinne leicht anrühren sollte mit Hand oder mit Mund – als der General eintrat, ihn erschreckte und das Kopieren pries und schloß.

So glücklich ging die Schreibstunde und die Gefahr, Wina zu sehen, vorüber, und er wankte heim mit einem Kopfe, der sich ein wenig im Herzen vollgetrunken hatte.

Auf den Turmknöpfen und Park-Gipfeln lag noch süßes rotes Sonnenlicht und weckte zugleich das Sehnen und Hoffen der Menschen in und außer Haßlau.

Er kopierte den zweiten Tag, stets mit derselben Angst, daß Wina die Türe aufmache. Der dritte aber – wo wieder nichts kam – machte ihn, wie jeden Krieger die Zeit, so mutig und so zum Mann am vierten, daß er in der Tat sich sehnte nach Gefahr. Ganze Nächte mußte jetzt das fromme Mädchen vor seiner Seele stehen – er hatte dabei seinen ewigen Frühling –, bloß weil er einen Plan nach dem andern entwarf und verwarf, wie er noch jetzt, um die Folgen des offnen Briefs zu vergüten, etwan durch die Sanfte für den Grafen wirken könnte. Es wollte ihm aber nie etwas Bedeutendes einfallen.

Am vierten Tage hört' er, unter dem Abschreiben einer schönen erotischen Gestikulation im Briefe, eine weibliche Singstimme, die, obwohl aus dem dritten Zimmer, doch ebensogut aus dem dritten Himmel kommen konnte. Er kopierte feurig weiter; aber eine Sonnenstadt nach der andern erbaueten in ihm diese Orpheus-Töne, und die Felsen des Lebens tanzten nach ihnen. Er erinnerte sich noch recht gut, was ihm Vult über Winas Singen geschrieben. Als er darauf unter dem Heimgehen dieselbe Stimme fortsingend vor sich mit einer Schachtel unter dem Arm auf der Treppe sah und auf jeder Staffel erstaunte und nachdachte: so macht' es ihm das schlechteste Vergnügen von der Welt, diese Stimme auf der Gasse zu einer andern sagen zu hören, ihre Fräulein – denn es war die Putzjungfer – komme erst nächsten Freitag aus Elterlein zurück – – er spürte ordentliches[813] Sehnen, einmal in seinem Geburtsörtlein zu sein und aus der so heißen Stadt herauszukommen.

Himmel, schloß er indes, wenn schon diese Putzjungfer Karyatide der fernen Göttin so singt, wie muß erst diese glänzen, sowohl im Gesang als sonst! Er wurde unendlich begierig, einem Widerscheine der heiligen Nachbarschaft Winas ins Gesicht zu sehen, überhaupt einer Person, deren göttlichen Geist der Töne er, hinter ihr gehend, anbetete, kurz der Soubrette. Denn er glaubte längst, eine erste Sängerin sei gewiß nicht die letzte Monatsheilige oder eine Sirene; und eine babylonische Hetäre behalte keine Stimme, gesetzt sie hätte eine besessen; eine Meinung, die gutmütige Weltleute mehr seiner Unbekanntschaft mit Bühne und Welt zuschreiben sollten als seiner Dummheit.

Er mochte kaum drei schnellere Schritte getan haben, um ihr vorzukommen: als er drei Flüche und ein Kotwort vernahm. Er drehte sich heftig um, mit der glänzenden Ordenskette in Händen, die er der anscheinenden Ordensschwester der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halse gerissen; und in einer dunkeln Allee der Stadt ließ er Tränen fallen, darüber, daß eine solche rauhe Seele eine Singstimme besitze, und daß sie der heiligen so nahe wohne. Hoch aber zog Winas Gestalt in ihrem glänzenden Wolkenhimmel weiter; und ihm war, als könne nur ein Tod ihn, wie zu Gott, so zur Göttin bringen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 812-814.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Flegeljahre
Flegeljahre; Eine Biographie
Flegeljahre: Eine Biographie
Flegeljahre. Eine Biographie
Flegeljahre: Eine Biographie (insel taschenbuch)
Flegeljahre: Roman (Fischer Klassik)