27. Zykel

[137] Zesara wird nie den Frühlingsabend vergessen, woran er einen Passagier im Überrocke – ein wenig hinkend und mit brauner Reise-Schminke, wogegen die weißen Augäpfel glänzend abstachen – den seichten Bach neben dem hohen Stege durchwaten sah, und wie ferner der Passagier einen Wächterspieß, den der zeitige Bettler-Polizei-Leutnant als seinen vikarierenden Mitarbeiter an seine Haustüre angelehnt, mitnahm und solchen unterwegs[137] einem Krüppel mit den Worten reichte: »Alter, ich habe nichts Kleineres bei mir als den Spieß. Wenn Ihn jemand fragt, so sag' Er nur, Er wach' im Dorfe gegen das verhenkerte Bettelvolk, aber Er habe nicht Augen genug.« – Dabei streckte der Pilger noch sein Schnupftuch einem Rektors-Söhnchen, dems nötig war, auf drei Minuten vor.

Natürlich war es unser alter Titularbibliothekar Schoppe, den Don Gaspard mit der Einladungskarte für Isola bella abgesandt. Albanos Entzückung war so groß, daß er erst einige Tage später sich im humoristischen Sonderlinge jugendlich irrte, indes dieser sehr bald den leichten, heißen, stillen Wildling richtig auswog. Ging es nicht dem alten Landschaftsdirektor noch schlimmer, welcher, bloß weil er den deutschen Reichskörper so hoch anschlug, als wär' er die darin eingepfarrte Reichsseele, über Schoppes Ausfälle gegen die Konstitution in einen patriotischen Harnisch kam? »Herr,« (sagt' er aufgebracht) »wenns auch wo haperte: so muß ein redlicher Deutscher still dazu schweigen, wenn er nicht helfen kann, zumal in so verfluchten Zeiten.«

Das Schönste war, daß auf Luigis Begehr zugleich der Baumeister abzureisen hatte, um aus Rom Abgüsse der Antiken zu holen.

– Und nun zieht fort, damit ihr wiederkommt und wir endlich einmal einlaufen in Pestitz! – Freilich wirst du, gutes Kind (Waldbiene sollt' ich sagen), deinen Abflug aus dem ländlichen Honigbaume in den städtischen gläsernen Bienenstand mit tiefern Schmerzen halten, als du vorausgesetzt – reiset nicht sogar der alte Pflegevater ohne Abschied fort, um nur dem deinigen zu entfliehen – und deiner guten Mutter ist, als reiße eine zornige Parze ihr einen Sohn von der Brust, als lange sein zartes, nur aus der kindlichen Gewohnheit gesponnenes Liebes-Band nicht hinein in die weite Zukunft – und deine Schwester sperret sich in die Mansardenstube ein mit ihrem ländlichen, von Feuerfoltern tobenden Herzen und kann dir nichts sagen und nichts geben als eine von ihr bisher heimlich gestickte Brieftasche mit der seidnen Umschrift: Gedenke unserer! – und selber auf deinen lorbeer-süchtigen Kopf wird der Triumph- oder Regenbogen[138] des Abschiedes, wenn du unter ihm durchschreitest, schwere, schwere Tropfen werfen (ach an den nachblickenden Augen werden sie länger hängen bleiben) – dein alter redlicher Lehrer Wehmeier wird an dir den letzten Strom seiner Worte und Tränen vergießen und sagen (und dein weiches Herz wird nicht lächeln): »er sei ein alter abgeschabter Kerl und habe nun nichts vor sich als das Loch (das Grab) – du hingegen seiest ein frischer blutjunger Mann, voll Sprachen und Altertümer und herrlicher Talente von Gott – freilich werd' ers nicht erbeben, daß aus dir ein berühmter Mann werde, aber seine Kinder wohl; und dieser Würmer sollest du dich einmal annehmen, junger Herr!«

– Du reine Seele, an jedem bekannten Hause, an jedem teuren Garten und Tale wird ja der Schmerz sein Einlegemesser schleifen und damit in dein glühendes zartes Herz leise-quellende Wunden ritzen – wie? sogar von deinen befreundeten Abend- und Morgen-Höhen (den Sprachgittern deiner heiligsten Hoffnungen) und von Lianen selber wirst du zu entweichen glauben. –

Aber wirf deine weinenden Augen in das offne blaue Italien und trockne sie an Frühlingslüften – das Leben hebt an – die Signale zu den Waffenübungen und Lusttreffen der rüstigen Jugend werden gegeben – und mitten in den olympischen Kampfspielen wirst du herrlich von nahen Konzert- und Tanzsälen umschmettert.

Was phantasier' ich da her? – Wie, ists nicht uns allen mehr als zu wohl bekannt, daß er längst fort ist schon seit der ersten Jobelperiode, ja sogar wieder retour, und er hält schon seit der zweiten – jetzt zählen wir die vierte – mit dem Bibliothekar und dem Lektor zu Pferde vor Pestitz und kann nicht hinein wegen der Torsperre der –[139]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 137-140.
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