113. Zykel

[641] Albano flog mit der neuen Hastigkeit, die jetzt in seinen Handlungen regierte, schon unter dem kühlen Morgenstern von dem glücklichen Boden davon. Er sagte dem Baumeister Dian sein ganzes Glück, weil er wußte, wie sehr der Mann noch ein Jüngling für die Liebe blieb; »bravo!« (antwortete Dian) »Wer kann ohne Liebe in Italien auskommen? Unsereiner wenigstens nicht. Hoffentlich ist Euere prächtige Juno gegen Euch nicht so stolz wie gegen andere Leute: dann mags wohl ein Götterleben geben.«

In den Morgenlüften, von Sonne und Woge angestrahlt, schwebt' er gleitend auf dem blauen Spiegel-Meer zwischen zwei Himmeln, und sein Auge war selig, wenn es nach dem Olymp, Epomeo, zurücksah, und war selig, wenn es wieder auf die hinauf- und hinabschimmernden Küsten, auf den langen ausgelegten Markt der Erde blickte.

Als sie unter den schwimmenden Palästen, den Schiffen, vorbei an die stehenden kamen: trafen sie das Volk im Taumel eines Heiligen-Festes. Er vergrub gezwungen den blauen Tag und das Meer in Tempeln – in Bildersälen – in vierten Stockwerken, wo nach der Sitte einige Große wohnten, an welche er von seinem Vater Briefe abgab – und schöner in der unterirdischen finstern Gasse, die sich durch den blühenden Posilippo wölbt.

Nur der Aussicht, daß er in der ersten nächsten Einsamkeit mit dem entrückten Herzen reden werde, beruhigte seinen immer aus der Gegenwart fliehenden Geist. Abends bestiegen sie die schönste Höhe über Neapel, das Kamaldolenser Kloster, wo er unter den Freuden der Aussicht in grauer Ferne hinter dem Posilippo den hohen Epomeo stehen sah. Er hielt sich nicht länger,[641] sondern fing an einer dichter umblühten Stelle, die er sich dazu aussuchte, diesen Brief an Linda an:

»Endlich, edle Seele, kann ich zu dir reden und deine Insel wieder schauen, wiewohl nur als eine aufgerichtete sonnenrote Abendwolke am Horizont. Linda, Linda, o daß ich dich habe und hatte! Dauert denn der zweitägige Götter-Traum noch herüber ins kalte Heute? Du bist jetzt so fern und stumm, und ich höre kein Ja. Als ich in Rom auf der Peterskuppel in den blauen Morgenhimmel sah und das Leben um mich brausend schwoll, wie die Lüfte mich umwehten: so war mir, als müßt' ich mich in ein fliegendes Königsschiff werfen und ein Ufer suchen, das unter dem tiefsten Sternbild grünt; als müßt' ich wie eine Kaskade hinabflattern durch den Himmel und mich drunten durch das steinige Leben reißen, dringend und zerstörend und tragend. Und so ist mir jetzt wie der und noch stärker; ich möchte zu dir hinüberfliegen und sagen: du bist mein Ruhm, mein Lorbeerkranz, meine Ewigkeit, aber ich muß dich verdienen; ich kann nichts für dich tun, außer für mich. – In der alten Zeit waren geliebte Jünglinge groß, Taten waren ihre Grazien und der Panzer ihr Feierkleid. Heute, als ich auf den Golf von Baja und auf die Ruinen hinübersah, wo die Gärten und Paläste der großen Römer noch mit Trümmern oder Namen liegen; und als ich die alten trotzigen Riesen stehen sah mitten in Blumen und Orangen und in lauen Duftlüften, davon erquickt, aber nicht erweicht, mit der Hand den schweren Dreizack hebend, der drei Weltteile bewegte, und mit der markigen Brust entgegentretend dem Winter im Norden, der Glut in Afrika und jeder Wunde: da fragte mein ganzes Herz: bist du so? O Linda, kann der Mann anders sein? Der Löwe geht über die Erde, der Adler geht durch den Himmel, und der König dieser Könige habe seine Bahn auf der Erde und in dem Himmel zugleich. Noch war und tat ich nichts; aber wenn noch das Leben ein leerer Nebel ist, kannst du ihn übersteigen, oder festgreifen und zerschlagen? Willst du einmal, du Uranide, einen Mann lieben, so tret' ich vor keinem zurück. Aber Worte sind an Taten nur Sägespäne von der Herkuleskeule, wie Schoppe[642] sagt. Sobald der Krieg und die Freiheit aufeinanderstoßen, so will ich dich im Sturm der Zeit verdienen und dir Taten mitbringen und die unsterbliche Liebe.

Hier steh' ich auf der göttlichen Höhe des Klostergartens und blicke in ein grünes Himmelreich ohnegleichen hinab. Die Sonne ist schon über den Golf hinüber und wirft ihre Rosenfeuer unter die Schiffe, und ein ganzes Ufer voll Paläste und voll Menschen brennt rot – durch die langen aufgebreiteten Straßen unter mir rollt das Festgetümmel schon herauf, und die Dächer sind voll geschmückter Menschen und voll Musik, Balkons und Gondeln erwarten die göttliche Nacht zu den Gesängen. Und hier bin ich allein und bin doch so glücklich und sehne mich ohne den Schmerz. Aber wär' ich vor vier Tagen, Linda, wo ich dich noch nicht kannte und noch nicht hatte, hier gestanden und hätte angesehen diesen Abend – das goldne Meer – das heitere Portici, das Sonne und Meer mit Flammen anspülen – den herrlichen Vesuv mit goldgrünen Myrten umwunden und mit dem grauen Aschen-Haupt voll Sonnenglut – und hinter mir die grüne Ebene voll Wolken aus Blütenstaub, die aus Gärten steigen und in Gärten regnen – und den ganzen webenden Zauberkreis freudiger Kräfte, diese in Licht und Leben schwimmende Welt; – dann, Linda, hätte ohne dich durch die warme Seligkeit ein kalter Schmerz gezückt, und im goldnen Abendlicht wären Erinnerungen mit Trauer-Larven gegangen.

O Linda, wie hast du meine Welt gereinigt und erweitert, und ich bin nun überall glücklich. Du hast den schweren scharfen Pflug des Lebens, der mühsam an der Ernte arbeitet, in einen leichten Griffel und Pinsel verwandelt, der umherspielt, bis er eine Götter-Gestalt erschafft. Sah' ich heute nicht jeden Tempel und jeden Hügel froher, wie von dir vergoldet, und jede Schönheit, sie mochte an der Statue, auf der Leinwand oder auf der singenden Lippe oder auf den Gipfeln blühen, prangte und duftete üppiger, und dann flog ich von der kleinen Blume auf zur blühenden Linda?

Wie herrschet die dunkle Gewalt hinter der Wolke! Versiegelte Befehle gibt sie uns mit, damit wir sie auf einer späten fremden[643] Stelle erbrechen. Gott, erst auf Ischias Epomeo mußt' ich meinen öffnen, da ging ein Augenblick über das Leben und gebar die Ewigkeit, der Schmetterling brachte die Göttin!

Der Abend geht unter, und ich muß schweigen. Wüßt' ich nur, wie der deinige ist! Mein Leben besteht jetzt aus zwei Stunden, deinen und meinen, und ich kann nicht mehr mit mir allein leben. – Dieser Tag sei dir doch reich und mild entwichen und dein Abend wie meiner! Die Sonne rötet nur noch den Vesuv, die Inseln verglühen langsam im dunkeln Meer, ich schaue nun, ohne mit dir zu sprechen, den großen Abend an, aber o Gott, so anders als in Rom! Selig werd' ich mein Auge nur an deine auslöschende Insel im Glanz-Getümmel des Abendrots heften und lange noch hinsehen, wenn schon Epomeos Gipfel in der Nacht verwittert; und dann werd' ich heiter in das mit Lichtern umstellte Grab der Farben unter mir schauen – frohe Gesänge werden durch die Dämmerung ziehen – die Sterne werden liebreich schimmern – und ich werde sagen: ›Ich bin allein und still, aber unaussprechlich selig, denn Linda hat mein Herz, und ich weine nur aus Liebe, weil ich an ihres denke‹, und trunken werd' ich durch den Blütenrauch des Bergs hinuntergehen.« –


*


Er kam langsam nach Neapel zu seinem Freunde Dian zurück, alle Fest-Lust, die ihm begegnete, das ganze Odeum der Wonne, in welchem das klingende Rad der Leier schwindelnd umrollte, schien ihm bloß sein Nachklang zu sein, indes sonst erst den äußern sinnlichen Saiten des Menschen die innern nachklingen. Er wollte nur immer weiter und noch – wenn es ginge – diese Nacht auf den Weg nach dem Vesuv, für ihn gab es jetzt nur eine Tagszeit. Das wärmere Klima samt der Liebe und dem Mai schienen alle Frühlingswinde seiner Kräfte zu wecken, sie wehten ungestüm, ihm selber sogar bewußt; nur vor der Geliebten war er, noch wund von der Vergangenheit, bloß ein Zephyr, der die stäubende Blüte schont.


Am andern Tage wollt' er nun den Vesuv besteigen und am Morgen darauf seinen Dian in Portici erwarten, wenn er vorher auf dem Vulkan die Sonne hatte aufgehen sehen.[644]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 3, München 1959–1963, S. 641-645.
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