§ 21
Schwierigkeit der Prose

[485] Die Kunstprose fodert so viele Anstrengungen, nur anderer Art, als die Verskunst. Der prosaische Rhythmus wechselt unaufhörlich, das poetische Metrum dauert das Gedicht hindurch, und die Perioden bilden einander nicht, wie die Verse den vorhergehenden, nach. Den unaufhörlichen Wechsel ihrer Länge und ihrer Wortstellungen bestimmen die zahllosen Gesetze des Augenblicks, d.h. des Stoffs. Die Prose wiederholet nichts, das Gedicht so viel. Jene prosaische Vielgestaltigkeit nimmt daher leichter die verschiedenen Eigentümlichkeiten der Schriftsteller auf als die Poesie; und die großen Prosaisten sind einander unähnlicher als die großen Lyriker, z.B. die Prosaisten Herodot, Xenophon, Thukydides, Platon, Cicero, Cäsar, Tacitus, oder gar die deutschen, Lessing, Winckelmann, Hamann, Goethe, Jacobi, Wieland etc. Besonders die Franzosen fliegen nur gefesselt, gehen aber ungebunden[485] zu Fuß; und nur ihren Dichtern ist die Eigentümlichkeit genommen, aber ihren Prosaikern geblieben, z.B. einem Montaigne, Voltaire, Pascal, Diderot, Jean Jaques, Montesquieu, Buffon etc. Aber freilich fällt überhaupt in der Höhe des Dichtens die Mannigfaltigkeit weg, so wie der Himmel wenige Farben, und die Erde Millionen hat; so läßt die höhere Dichtkunst keine Eigentümlichkeiten zu, und die komische jede, so wie jeder einen andern Sprachton hat, aber die Singstimmen sich ähnlichen. – Buffons Wort: der Stil ist der Mensch selber, wird noch durch die Erscheinung fester, daß große Schriftsteller ihren eigentümlichen Stil, wie sehr sie auch in spätern Jahren und Büchern an Kräften und Einsichten wachsen und wechseln, schon in ihren ersten Werken entscheiden. So springt aus Lessings Kopf schon in seine ersten Vorreden die Minerva seines Stils ganz bewaffnet; so hält sie schon in Hamanns ersten Werken der Welt ihr Medusenschild entgegen, um sie von sich zu scheuchen. Übrigens gibt es im Stile zwei Arten, gleichsam wie Lagerobst und Lagerbier. Das anfangs strenge Lagerobst eines Herders erweicht und versüßt das Alter. Das anfangs schwächere Getränk wird auf dem Lager der Zeit stärker, ja strenger; so Wieland in seiner spätern Zeit, so Rousseau, und selber Cicero in seinen Reden, z.B. für den Attikus. Indes bleibt ein Alter des Altertums sich im Stile gleichförmiger, weil er später anfing und nicht erst unter dem Schreiben reifte, sondern ein paar Jahrzehende vorher. Bei den Neuern freilich hat der Stil den Weg vom Jüngling zum Greise zu machen.

Allen Schriftstellern wurde der Stil häufiger nachgeahmt als dem originellen Lessing, aber nicht wegen eben seiner Eigentümlichkeit selber – denn die größere ist gerade die bequemere zum Nachahmen –, noch weil Glanz und Abglättung seiner Sprachkunstwerke schwierig nachzuprägen war – denn seine Goldstücke fühlten sich gerändert genug an –, sondern darum: die Eigentümlichkeit war nicht Bildermalerei, nicht Gefühlausdruck, nicht nicht Wortebbe, noch Wortflut, nicht Kraft- und Prachtglanz der Phantasie – alles gewöhnliches Grenzwildpret für die Jägerschaft der Nachahmer –, aber sein Stil war, wie der demosthenische, die lange Schlußkette einer logischen Begeisterung, in vielfache[486] Windungen, aber nicht wie eine Blumenkette, sondern wie eine Fangkette gelegt und ausgebreitet, gleichsam eine Gebirgkette, womit er die Wahrheit einschloß. Daher kam die dialogische Form mit den ein- und ausspringenden Winkeln ihres Stroms, daher seine Vorliebe für die Antithesen, die Widerprallichter und Reverberen für das schnelle Erkennen. Allein eben dieser mit der Sache durchwirkte Stil, der nicht das tote Kleid, sondern der organische Leib des Gedanken ist, wird schwer kopiert, weil man nicht eine Wachsgestalt, sondern einen lebendigen Menschen wiederzugeben hat, noch abgerechnet, daß man überhaupt Kälte und Ruhe nicht so leicht und gern nachmacht als Wärme und Sturm. Meißner versuchte es mit einigen stilistischen Äußerlichkeiten Lessings, aber aus Armut an dessen Geist ohne Erfolg. Doch zur Fortpflanzung einer den alten Sprachen abgeborgten Lessingschen Eigentümlichkeit, dem Hauptsatze die unwichtigen Einleitsätze lieber nach- als voranzustellen, hätte schon die Leichtigkeit, womit ich sie hier selber nachspiele, die Nachahmer mehr verführen und der Gewinn der Zusammendrängung mehr ermuntern sollen, als geschehen.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 485-487.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Vorschule der Ästhetik
Vorschule Der Aesthetik: Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit Volume 2
Vorschule Der Aesthetik (1); Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (1)
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit
Vorschule Der Aesthetik Nebst Einigen Vorlesungen in Leipzig Uber Die Parteien Der Zeit (3)