Erste Viertelstunde
Die Ur-Rezensenten

[500] Der erste Rezensent, der das Werk eines Schriftstellers und bloß dieses ohne Hinsicht auf die Person beurteilt, ist der Verleger, obgleich der Verfasser selber der allererste sein mag, nur daß er bei weiten milder und nicht so unparteilich rezensiert, als ob ers verlegen sollte, gesetzt sogar, er nähme es in Selberverlag. Der Buchhändler beurteilt nun das ihm als Handschrift zugeschickte Buch, rezensiert entweder in einem Briefe oder mündlich in seinem Komtoir mit drei Worten vor seinem Publikum, nämlich vor dem Autor selber, und erhebt, ungleich seinen spätern Nachfolgern, das Werk mit völliger Überzeugung und sagt eher des Guten zu wenig als zu viel; vielmehr wenn andere Rezensenten[500] für Bezahlung anpreisen, gibt er selber desto mehr Geld dazu, je mehr er Lob vorher gegeben. Ja der Primärrezensent verdoppelt, wenn er öffentlich in seiner Buchhändleranzeige auftritt, noch das stille, ins Gesicht erteilte Privatlob, und den Tadel unter vier Augen verschweigt er lieber. Wie schonend deckt er, der allen kritischen Zergliederern des Buchs mit seinem Messer als Prosektor vorausging, in der Anzeige alle Blößen des Verlagartikels zu, und wie liebend hebt er alle Vorzüge desselben heraus, ordentlich über Verdienst! Wollte doch der Himmel die Nach- und Sekundarezensenten nähmen sich die Primarezensenten zum Muster und schlügen ihnen in dem Loben und Beräuchern besonders der Werke von schlechtem Geruch nach, da dabei nicht das abstrakte Ding, die gelehrte Republik, sondern die Gelehrten, die sie bilden, so augenscheinlich gewinnen würden! –

Die Primärrezensenten, welche in vielen Literaturzeitungen ihren ansehnlichen Stall rezensierender Musterreiterei unterhalten, liefern noch Rezensionen in einem zweiten, aber höhern Verstande, wie man die neuen Herausgaben alter Klassiker durch gelehrte Humanisten nennt. Nur übertrifft ein Primrezensent einen Heyne, der seinen Virgil, einen Wolf, der seinen Homer, einen Ernesti, der seinen Cicero herausgab (recensuit et edidit), dadurch, daß er nicht wie diese eine hundertste Ausgabe nach mehren gedruckten veranstaltet, sondern eine erste, ganz neue besorgt und von seinem ungedruckten Klassiker und Schreiber durch sein Verlegen Handschriften der gelehrten Welt zuführt, die meistens nur einmal abgeschrieben in der Hand des Verfassers existierten, indes von einem Platon, Aristoteles in mehren Klöstern Abschriften vorhanden waren. Ehrwürdig reiht sich der Primrezensent noch durch sein Studium der neuesten Handschriften jenen großen Wiederherstellern der Wissenschaften, die einen Tacitus, Aristophanes und andere aus Kellern, Kramläden, Dachböden holen und retten mußten, auch dadurch an, daß er manchen Roman, manches Predigtbuch, manche Reisebeschreibung aus Dachstuben, elenden Schlupfwinkeln, ja aus Gläubigers Händen hervorzieht. –[501]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 500-502.
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