§ 71
Der dramatische Roman

[252] Aber die Neuern wollen wieder vergessen, daß der Roman ebensowohl eine romantisch-dramatische Form annehmen könne und angenommen habe. Ich halte sogar diese schärfere Form aus demselben Grunde, warum Aristoteles der Epopöe die Annäherung an die dramatische Gedrungenheit empfiehlt, für die bessere, da ohnehin die Losgebundenheit der Prose dem Romane eine gewisse Strengigkeit der Form nötig und heilsam macht. Richardson, Thümmel, Wieland, Schiller, Jacobi, Fielding, Engel u.a. gingen diesen Weg, der sich weniger zum Spielraum der Geschichte ausbreitet, als zur Rennbahn der Charaktere einschränkt, desgleichen der Autor, der uns sonst bekannt ist. Diese Form gibt Szenen des leidenschaftlichen Klimax, Worte der Gegenwart, heftige Erwartung, Schärfe der Charaktere und Motive, Stärke der Knoten u.s.w. Der romantische Geist muß ebensogut diesen fester geschnürten Leib beziehen können, als er ja schon den schweren Kothurn getragen und den tragischen Dolch gehoben.[252]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 252-253.
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