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[123] Dort gegen Westen, traulich unterm Dach,

Liegt hoch und abgeschieden das Gemach,

Das sich des Hauses Töchter jederzeit

Zum stillen Allerheiligsten geweiht.


Es ist ein eng und niedrig Kämmerlein

Mit runden Scheiben und uraltem Schrein,

Drin Bänder, Kettlein, Herzchen aller Art

In mannigfachen Kästlein wohlverwahrt.


Am Fenster steht das Spinnrad und davor

Der zartgepflegte bunte Blumenflor,

Gelbveiglein, Nelken, Rosen ohne End,

Und wie man all das liebe Zeug benennt!


Manch nächtlich Lied hat hier heraufgetönt,

Und diese Fensterlein sind dran gewöhnt,

Geräuschlos blinkend, heimlich aufzugehn,

Geöffnet ganze Nächte durch zu stehn.


Und manche Leiter wurde aufgetürmt

Und auf die Liebeswarte kühn gestürmt;

Ob stets das Rosengitter widerstand,

Gehört zu den Geheimnissen im Land.


Auch jetzt ist eine Leiter angelegt,

Die einen Schwarm geschwärzter Männer trägt;

Im roten Mantel stürmet in die Tür

Ein Freiersmann mit flammendem Panier.


Und vor ihm fährt ein Knäuel, wirr und kraus,

Erschreckter Liebesgötter fliehend aus;

Das flattert irrend in der Frühlingsluft,

Verfliegend wie verbrannter Ambraduft.
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Das ganze Fenstergärtlein stürzt herab

Und findet in der Glut sein feurig Grab.

Ob all die stille, schöne Liebeswelt

Wohl rettungslos damit in Asche fällt?


Mir ist nicht bang; ist neu das Haus erbaut,

Man sicher wieder dran ein Fenster schaut

Mit Rosen, Gelbveiglein und Nelkenzier;

Denn solches muß man haben für und für!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 123-125.
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