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[39] Es ist ein stiller Regentag,

So weich, so ernst – und doch so klar,

Wo durch den Dämmer brechen mag

Die Sonne weiß und sonderbar.


Ein wunderliches Zwielicht spielt

Beschaulich über Berg und Tal,

Und die Natur, lind abgekühlt,

Sie weint und lächelt allzumal!


Wie ein Kristall, von Flor umhängt,

Erglänzt geheimnisvoll die Luft,

Der Tag glimmt spärlich und bedrängt,

Wie Lampenschein in einer Gruft.


Die Hoffnung, das Verlorensein

Sind gleicher Stärke in mir wach;

Das Leben und die Todespein,

Sie ziehn auf meinem Herzen Schach.


Ich aber schaue innerlich

Still lächelnd zu in guter Ruh,

Und meine Seele rüstet sich

Ergebend ihrem Schicksal zu.

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 39-40.
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