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[27] Mir ist: ich trag ein grünes Kleid

Von Sammet, und die weiche Hand

Von einer schweigsam stillen Maid

Streicht es mit ordnendem Verstand.


Wie sie so freundlich sich bemüht,

Trag ich die leichte Unruh gern,[27]

Indes sie mir ins Auge sieht

Mit ihres Auges blauem Stern.


So deckt der weiche Buchenschlag

Gleich einem grünen Samtgewand,

So weit mein Auge reichen mag,

Das hügelübergoßne Land.


Und sachte streicht darüber hin

Mit linder Hand ein leiser West;

Der Himmel hoch mit stillem Glühn

Sein blaues Aug drauf ruhen läßt.


Uns beiden ist, dem Land und mir,

So innerlich, von Grund aus, wohl –

Doch schau, was schleicht im Feldweg hier,

Den Blick so scheu, die Wange hohl?


Ein Heimatloser sputet sich

Waldeinwärts durch den grünen Plan –

Das Menschenelend krabbelt mich

Wie eine schwarze Erdspinn' an.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 27-28.
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