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[261] Bleich beglänzte Wolkenscharen

Draußen durch die Mondnacht fahren,

Ungewisse Lichter fallen

Hier in diese grauen Hallen.


Schwert an Schwert und Lanz an Lanze

Reihen sich mit düsterm Glanze,

Banner, braun vom Schlachtenwetter,

Rascheln da wie Herbstesblätter.


Licht aus heller Jugendferne,

Seid gegrüßt, ihr Morgensterne,

Und auch ihr mit tausend Scharten:

Äxte, Schilde und Halmbarten!
[261]

Eisenhüllen, dunkel schimmernd,

Gleich verglühten Sonnen flimmernd,

Steht ihr da, des Kerns Beraubte,

Brust an Brust und Haupt an Haupte!


Die euch ehrne Chrysaliden

Sich zum Kleide mochten schmieden,

Sind die Falter ausgeflogen?

Sagt, wo sind sie hingezogen?


Und in welcher Schöpfungsweite

Stehn die Helden jetzt im Streite?

Sieht man sie im Feld marschieren

Unter fliegenden Panieren?


In gedrängten Männerhaufen

Stürmend an die Feinde laufen

Und Dämonenheere schlagen,

Ew'ge Freiheit zu erjagen?


Schweigen herrscht – sie ruhn im Frieden;

Tatenfroh sind sie geschieden,

Ließen stolz und reich im Sterben

Land und Freiheit ihren Erben.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 261-262.
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