7. Biermamsell

[359] Dein Witz geht an, o Schöne mein,

Noch eher als dein bayrisch Bier!

Jedoch noch besser leuchtet mir

Das Blaue deiner Augen ein!


Und besser als dies Flackerlicht

Noch dünket mich dein schmal Gesicht,

Die runde Schulter, die zierliche Brust

Und deiner Hüften schlanke Lust.


An deiner schwarzen Seidentracht

Ist jedes Fältchen wohlgemacht;

Und immer nobel, witzig nur

Verfolgst du deine dunkle Spur.
[359]

Bist nie gemein und schimpfest nicht,

Wenn dir ein Gast die Treue bricht,

Ein Marquis Posa, wie gemalt,

Die sieben Seidel nicht bezahlt.


Du siehst nur intressanter aus,

Kaum zittern leis Manschett und Kraus;

So edelbleich und schmerzenreich

Siehst du Marien Stuart gleich.


Getrost nur wandle deine Bahn!

Ich kenne manchen ernsten Mann,

Des Seelenstaat und Wortgeschmeid

Mahnt an dein seidnes Rauschekleid.


Er strebt und ringt und peroriert,

Wird edelbleich, wenn er verliert;

Um was sich's handelt, scheint es mir,

Ist mehr nicht als ein Seidel Bier!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 359-360.
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