59. Kapitel
Nur in Gott soll meine Hoffnung und Zuversicht sein.

[189] 1. Der Mensch: Herr, es sind so viele Dinge unter der Sonne: Wie heißt doch das Ding, auf das ich mich in allen Schickungen meines Lebens verlassen und das mich wahrhaft trösten kann? Bist nicht du es, mein Herr und mein Gott, dessen Erbarmungen ohne Zahl und ohne Grenze sind? Wo war mir doch wohl ohne dich? Oder wie hätte es mir übel gehen können bei dir? Lieber will ich arm sein um deinetwillen, als reich ohne dich. Lieber will ich mit dir auf Erden Pilger sein, als ohne dich das Himmelreich besitzen.

Wo du bist, da ist der Himmel, wo du nicht bist, da ist Tod und Hölle. Du bist das Verlangen meiner Seele: darum schreit, weint, seufzt sie nach dir. Mein volles Vertrauen kann ich auf niemand setzen als auf dich allein; denn wer hülfe mir in allen Nöten und so zur rechten Stunde, wie du? Du bist meine Hoffnung, du meine Zuversicht, du mein Tröster, du mein treuester Freund in Not und Tod.

2. Alle anderen suchen das Ihre; du suchst nur mein Heil, nur meinen Fortschritt im Guten und lenkst alles mir zum Besten. Und wenn du mich noch so vielen Versuchungen und Trübsalen aussetzest: so leitest du mir auch alle diese Versuchungen und Trübsale zu meinem Besten. Denn es ist deine Weise: tausend und wieder tausend Prüfungen müssen deine Geliebten über sich ergehen lassen. Und wenn du wirklich solche Prüfungen über mich kommen läßt, so bist du ebenso der Liebe würdig und aller Lobpreisungen wert, als wenn du mich mit himmlischen Tröstungen überschüttetest.

3. Auf dich allein also setze ich meine ganze Hoffnung und meine einzige Zuflucht; dir stelle ich all meine Angst und Beklemmung anheim, weil ich alles, was ich außer dir sehe, schwach und unstet finde. Denn alle meine Freunde, so viel ihrer sind, können mir nichts nützen, alle starken Helfer mir nicht helfen, alle klugen Räte mir nichts Kluges raten,[189] alle Bücher der Gelehrten mich nicht trösten, alle kostbaren Schätze der Erde mich nicht retten, alle geheimen Zufluchtsplätze mich nicht schützen, wenn du mir nicht beistehst, du mir nicht hilfst, du mich nicht stärkst, du nicht tröstest, du nicht belehrst, du nicht schützest.

4. Alles, was Friede und Seligkeit verheißt, ist ohne dich nichts und hilft ohne dich in Wahrheit nicht zur Seligkeit. Du bist also der Anfang und die Vollendung alles Guten: du die Höhe alles Lebens; du die Tiefe jedes Wortes. Auf dich mehr als auf alles andere hoffen, das ist der Trost und die ganze Stärke deiner Knechte. Zu dir, mein Gott, schauen meine Augen auf; du bist meine Zuversicht!

Vater aller Erbarmungen! Segne meine Seele; heilige sie durch deine himmlischen Segnungen, damit sie werde eine heilige Wohnung für dich, ein Sitz deiner ewigen Herrlichkeit, ein Tempel deiner Majestät, darin dein heiliges Auge nichts Unreines erblicke. Nach der Größe deiner Güte, nach der Fülle deiner Erbarmungen sieh herab auf mich und erhöre das Flehen deines armen Knechtes, der da schmachtet im Schattenlande des Todes, fern von dir. Schütze und erhalte die Seele deines geringen Knechtes in so vielen Gefahren dieses gebrechlichen Lebens und leite und begleite mich durch deine Gnade auf dem Wege des Friedens in das Vaterland der ewigen Klarheit. Amen.[190]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 189-191.
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