21. Kapitel
Das zerschlagene, reuevolle Herz des Menschen – ein großer Segen.

[40] 1. Willst du im Guten vorwärts schreiten, so bewahre dein Herz in der Furcht Gottes und sei nicht zu frei, das heißt: behalte deine Sinne in guter Zucht und überlaß dich nicht törichter Freude. Kehre dich lieber einwärts zur Reue, und du wirst Andacht finden. Ein wundes, zerschlagenes Herz schließt uns einen reichen Schatz des Guten auf, den ein zuchtloses, leichtfertiges Leben schnell wieder vertändelt. Es ist zu verwundern, daß ein Mensch, der sein Umherirren außer dem himmlischen Vaterlande und die vielen Gefahren, die seine Seele umgeben, recht bedenkt, in dieser Welt jemals recht froh werden kann.

2. Der Leichtsinn unseres Herzens und die Unachtsamkeit auf unsere Gebrechen sind so groß, daß wir das Elend unserer Seele nicht einmal empfinden, sondern oft noch lachen können, wo wir billig weinen sollten. Es ist doch keine wahre Freiheit und keine wahre Freude außer in der Furcht Gottes und in einem guten Gewissen zu finden.

O selig, wer alles, was ihn hindert und zerstreut, von sich werfen, und sein Herz in sich sammeln kann, daß es auftaut zur heiligen Reue! Selig, wer alles von sich stößt, was sein Gewissen beflecken oder drücken kann! Streite wie ein Mann! Gewohnheit wird durch Gewohnheit überwunden. Wenn du die Leute gehen und sie das Ihre tun lassen kannst, so werden sie dich auch gehen und das Deine tun lassen.

3. Zieh fremde Dinge nicht zu nahe an dein Herz, und verwickle dich nicht in die Geschäfte der Großen. Wende deinen Blick zuerst immer nur auf dich, und unter allen[40] deinen Freunden sei du immer der erste, dem du zu Herzen redest. Wenn dir die Menschen ihre Gunst entziehen, das soll dich nicht traurig machen. Aber das laß dir zu Herzen gehen, daß du nicht immer so gut und so vorsichtig wandelst, wie ein Knecht Gottes und ein frommer Ordensmann wandeln soll.

Es ist dem Menschen oft nützlicher, und immer sicherer, daß er nicht sonderlich viel Freuden auf Erden zu genießen hat, besonders sinnliche. Daran aber, daß uns der göttliche Trost mangelt, oder nur selten zu kosten gegeben wird, daran sind wir selber schuld, und die Schuld besteht darin, daß wir uns um das, was unser Herz wund und für göttlichen Frieden empfänglich machen kann, nicht viel bekümmern, und dem, was eitel und bloß äußerlich ist, nicht mannhaft Abschied geben.

4. Erkenne es nur, daß du des göttlichen Trostes unwürdig bist, und daß du viel mehr Trübsal und Plage verdient hast. Hat ein Mensch das lebendige Gefühl der Reue im Herzen, so ist ihm die ganze Welt weiter nichts als Last und Bitterkeit. Ein guter Mann findet zum Trauern und Weinen immer Stoff genug. Er mag sein Elend oder das Elend seines Nachbars ansehen, so begreift er gar bald, daß hier niemand ohne Trübsal und Herzeleid leben kann. Und je scharfsichtiger er sein Innerstes durchforscht, desto mehr Ursache zu trauern hat er. Den tiefsten Grund zu Schmerz und Reue geben uns unsere Sünden und Laster, in denen wir so tief begraben liegen, daß wir uns sehr selten zum Anblick himmlischer Dinge emporschwingen können.

5. Möchtest du öfter an deinen nahen Tod, als an die Länge deines Lebens denken: gewiß, du würdest das große Werk deiner Besserung mit mehr Eifer betreiben. Würdest du die Strafen der Sünde, die in der Hölle oder im Fegfeuer auf den Sünder warten, zu Herzen fassen: ich glaube, du würdest alle Mühen und Schmerzen, die mit der wahren Bekehrung verbunden sind, gern aushalten, und der strengste Ernst würde dir nicht zu strenge sein. Aber weil wir uns dies alles nicht ans Herz kommen lassen, weil wir die Schmeicheleien[41] dieser. Erde noch viel zu lieb haben, darum bleiben wir immer so kalt und träge.

6. Oft ist es wahrer Mangel an Geisteskraft, daß wir über ein geringes Ungemach des Leibes so bittere Klagen hören lassen. So bitte denn in Demut zu Gott, daß er dir den Geist der Reue gebe, und sprich mit dem Propheten (Ps. 80, 6): Speise mich, o Herr, mit dem Brot der Tränen und tränke mich mit dem Trank der Tränen in großem vollem Maße.

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 40-42.
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