12. Kapitel
Das heilige Kreuz: der königliche Weg zum Himmel.

[76] 1. Es ist für viele Ohren ein hartes Wort (Matth. 16, 24): Verleugne dich selbst, nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach. Aber noch härter in ihren Ohren wird jenes letzte Wort (Matth. 25, 41) sein: Gehet hin, ihr Verworfenen, in das ewige Feuer. Die jetzt das Wort vom Kreuze gern hören und willig befolgen, die werden einst von dem Worte der[76] ewigen Verdammung nichts zu fürchten haben. Dies Zeichen des Kreuzes wird am Himmel glänzen, wenn der Herr wiederkommen wird, die Menschen zu richten. Alsdann werden alle Freunde des Kreuzes, die Christus dem Gekreuzigten in ihrem Leben gleich geworden sind, mit großer Zuversicht zu Christus ihrem Richter treten.

2. Warum fürchtest du dich denn, das Kreuz auf deine Schulter zu nehmen, da doch der Weg vom Kreuze zum Himmelreich geht? Im Kreuze ist Heil, im Kreuze ist Leben, im Kreuze ist Schutz vor den Feinden, im Kreuze ist Eingießung himmlischer Seligkeit, im Kreuze ist Stärke des Gemütes, im Kreuze ist Geistesfreude, im Kreuze ist höchste Tugend, im Kreuze ist vollendete Heiligung.

Es ist kein Heil der Seele, keine Hoffnung auf ewiges Leben, außer im Kreuze. Nimm also dein Kreuz auf dich und folge Jesus nach, und du bist auf dem geradesten Wege zum ewigen Leben. Sieh! er ging dir ja voraus und trug uns das Kreuz voran und starb sogar für dich am Kreuze, damit auch du dein Kreuz tragen lernen und den Mut empfangen solltest, am Kreuze zu sterben. Denn, wenn du nun mit ihm stirbst, so wirst du auch mit ihm leben, und wenn du das Leiden mit ihm teilst, so wird er auch seine Herrlichkeit mit dir teilen.

3. Am Kreuze ist alles gelegen, aufs Sterben kommt alles an. Es führt kein anderer Weg zum Leben, zum wahren, inneren Frieden, als der Weg des heiligen Kreuzes, des täglichen Sterbens. Geh hin, wohin du willst, suche, was du willst: du wirst über dir keinen höheren und unter dir keinen sichereren Weg finden außer dem Wege des heiligen Kreuzes.

Ordne und füge alles nach deinem Willen und nach deinem Maß, und du wirst es nicht anders finden, als daß es überall etwas für dich zu leiden gibt. Gelitten muß sein, mit Willen oder wider Willen. Und so wirst du überall ein Kreuz finden. Denn entweder hast du einen Schmerz am Leibe oder eine Plage im Geiste auszustehen.[77]

4. Bald kannst du deinen Gott nirgends finden, und es ist, als wenn er dich verlassen hätte; bald gibt dir dein Nächster etwas zu schaffen, und was mehr ist, du bist oft dir selbst zur Last. Es kommen auch Fälle, die dich nirgends Arznei oder Trost, nirgends Rettung oder Linderung werden finden lassen; du wirst leiden müssen, und so lange leiden, wie es der Herr will.

Gott will, daß du auch ohne Tröstung leiden und dich ihm ganz ohne Ausnahme unterwerfen lernst und aus dem Leidensstrome demütiger hervorgehst, als du hineingingst. Niemand kann das Leiden Jesu so herzlich und innig nachempfinden, als wer einmal in der Leidensschule etwas ähnliches an sich erfahren hat. So ist denn überall für dich ein Kreuz zugerüstet und wartet auf dich überall. Du kannst auch dem Kreuze nirgends entlaufen, wo du immer hinlaufen magst. Denn, wo du immer hingehst, so gehst du selbst mit dir, nimmst dich selbst mit, und so wirst du dich auch überall wieder finden.

Wende dich über dich oder unter dich, wende dich in dich hinein oder außer dich hinaus: in allen Wendungen wirst du ein Kreuz finden, und du mußt überall, wo du hingehst, Geduld mit dir nehmen, Geduld festhalten lernen, wenn du innern Frieden haben und die ewige Krone verdienen willst.

5. Wenn du dein Kreuz willig tragen lernst, so wird dich das Kreuz auch wieder tragen, und es wird dich zum erwünschten Ziele hinführen, wo nämlich das Leiden auch sein Ziel und Ende haben wird. Hier aber findet das Kreuz sein Ende nicht. Wenn du dein Kreuz unwillig trägst, so machst du es dir zur Last, beschwerst dich noch mehr, und du mußt doch die ganze Last tragen. Wenn du ein Kreuz gewaltsam abschüttelst, so wirst du dir ohne Zweifel ein anderes wieder auf den Hals laden, und dies andere wird vielleicht schwerer sein als das vorige.

6. Glaubst du, du werdest allein ohne Kreuz durchkommen können, da doch kein einziger Sterblicher durchkommen konnte? Wie heißt denn der Heilige, der ohne Kreuz[78] und Trübsal in der Welt war? Selbst unser Herr, Jesus Christus, war nicht eine Stunde ohne Leiden, solange er auf Erden lebte. Denn Christus mußte leiden und von den Toten auferstehen und so in seine Herrlichkeit eingehen. Und wie willst du dir einen andern Weg suchen, als diesen königlichen Weg, den Weg des heiligen Kreuzes?

7. Das ganze Leben Christi war ein lauteres Kreuz- und Marterleben: und du willst nichts als Ruhe und Freude haben? Irrgegangen, weit irrgegangen bist du, wenn du etwas anderes suchst als Leiden, weil dieses ganze sterbliche Leben voll Elend und überall mit Kreuz und Plagen umzeichnet ist. Und je weiter einer im Leben des Geistes vorwärts geschritten ist, desto schwerere Kreuze werden ihm begegnen. Denn je lieber ihm sein himmlisches Vaterland ist, desto mehr Pein empfindet er hier in der Verbannung.

8. Doch wird es ihm bei diesen seinen vielerlei Plagen nicht lange an Tröstungen, die sein Leiden mildern, fehlen; denn es wird ihm aus dem Kreuze, das er mit Geduld trägt, die schönste Frucht Zuwachsen. Indem er sich seinem Kreuze freiwillig unterwirft, verwandelt sich die Bitterkeit des Kreuzes in Zuversicht auf göttliche Tröstung. Und je mehr das Fleisch durch den Druck des Leidens geschwächt wird, desto mehr wird der Geist durch die innerliche Gnade gestärkt. Und manchmal fühlt der Geist bei seiner Trübsal und Plage ein solches Übermaß von Stärke, daß er aus Liebe, sich dem Kreuze Christi anzugleichen, nicht ohne Trübsal und Schmerz leben möchte; denn er glaubt, daß er seinem Gott desto angenehmer sein wird, je mehr und je schwerere Leiden er für die Sache Gottes wird ausstehen können. Übrigens ist dieser große, hohe Mut nicht das Werk des Menschen, sondern eigentlich das Werk der Gnade Christi. Sie vermag in dem sterblichen Fleische so viel, sie bringt zustande, daß der Mensch das, was er von Natur scheut und flieht, im glühenden Eifer mutig angreift und liebgewinnt.

9. Das ist nicht die Sache des Menschen, daß er sein Kreuz trägt und liebt, den Leib züchtigt und als einen Knecht unter[79] die Herrschaft des Geistes bringt, daß er die Ehre verschmäht und die Schmach willig erträgt, sich selbst verachtet und es gern sieht, daß ihn andere verachten, daß er alles Widrige mit Aufopferung seines Vorteils erduldet und nichts von den glänzenden Freuden der Erde verlangt. Wenn du auf deine eigne Kraft hinsiehst, so wirst du so große Dinge nicht aus dir vermögen. Aber wenn du auf den Herrn vertraust, so wird dir Stärke vom Himmel gegeben und Fleisch und Welt unter deine Herrschaft gebracht werden. Auch dein Feind, der Teufel, wird nichts Furchtbares für dich haben, wenn du mit dem Harnisch des Glaubens bewaffnet und mit dem Kreuze Jesu gezeichnet bist.

10. Halt dich also gefaßt, als ein guter, treuer Knecht Christi, das Kreuz deines Herrn ihm mutvoll nachzutragen, ihm, der sich aus Liebe zu dir ans Kreuz schlagen ließ und daran starb. Bereite dich in diesem Leben viel Widriges und mancherlei Drangsale auszustehen. Denn wo immer du bist, es wird nicht anders mit dir gehen, und, wo immer du dich verbirgst, anders wirst du es nirgends finden. Und so muß es auch sein, du kannst bei dem Drängen der Gottlosen und bei den schmerzenden Eindrücken von außen dem Leiden nicht anders als durch Leiden entkommen. So trink denn mit herzlichem Verlangen aus dem Leidensbecher des Herrn, wenn du sein Freund sein und an seiner Herrlichkeit teilnehmen willst. Die Tröstungen aber stelle Gott anheim. Er mache es mit den Tröstungen wie mit den Leiden: wie es ihm gefällt. Du aber mußt dich immer zum Leiden anschicken, und, was Drangsal ist, für das größte Labsal halten lernen. Denn die Drangsale dieser Zeit sind nicht würdig, mit der zukünftigen Herrlichkeit verglichen zu werden. Sie würde den Wert deiner Geduld auch dann noch unvergleichbar übersteigen, wenn du allein alle Drangsale ausstehen könntest.

11. Wenn du es einmal so weit gebracht hast, daß dir die Bitterkeit des Leidens um Christi willen süß und schmackhaft wird, dann wisse, daß es gut mit dir steht. Denn dann[80] hast du das Paradies auf Erden gefunden. Solange dir aber das Leiden bitter ist und du dem Leiden so gern aus dem Wege laufen möchtest, so lange wird es schlecht um dich stehen, und es wird dir, wohin du auch fliehen magst, auf deiner Flucht überall eine Plage nachfliehen.

12. Wenn du dich gefaßt halten kannst auf alles das, worauf du gefaßt sein sollst, nämlich auf Leiden und Sterben, dann wird es mit dir schnell besser werden, und du wirst Frieden finden. Wärest du auch mit Paulus (2. Kor. 12, 2) in den dritten Himmel entrückt, so wärest du doch vor Leiden und Trübsal nicht sicher. Denn gerade von Paulus spricht Jesus (Apg. 9, 16): Ich will's ihm zeigen, was er alles um meines Namens willen wird leiden müssen. Leiden ist und bleibt also dein Erbteil, wenn du Jesus liebhaben und ihm ohne Unterlaß dienen willst.

13. Ach! daß du würdig wärest, um des Namens Jesu willen etwas zu leiden! Welch eine große Herrlichkeit würde für dich, welch ein göttlicher Jubel für alle Heiligen Gottes, welch eine gründliche Erbauung für deinen Nächsten daraus entstehen! Denn die Geduld empfehlen alle, obgleich wenige sie ausüben wollen. Billig solltest du gern ein wenig für Christus leiden, da viele so große Leiden für die Welt ausstehen.

14. Laß es dir doch einmal recht gewiß und klar werden, daß das Sterben dein eigentliches Leben sein sollte; und je mehr einer sich selbst stirbt, desto mehr fängt er an, seinem Gott zu leben. Niemand ist fähig, Himmlisches zu fassen, der nicht zuvor fähig geworden ist, für Christus Widriges zu leiden. Nichts ist Gott angenehmer, nichts ist dir heilsamer hier auf Erden, als gern für Christus leiden. Und wenn dir die Wahl frei stünde, so müßtest du eher wünschen, recht viel Widriges für Christus zu leiden, als mit vielen Tröstungen erquickt zu werden, weil du auf dem Wege des Leidens Christus ähnlicher und allen seinen Heiligen gleichförmiger werden würdest. Denn unser rechtes Verdienst und das eigentliche Fortschreiten im Guten besteht[81] nicht in vielen Tröstungen und Lieblichkeiten, die wir genießen, sondern vielmehr in großen Drangsalen und schweren Lasten, die wir geduldig zu tragen haben.

15. Gäbe es für Menschen einen sichereren und besseren Weg zum Heil als den Weg des Leidens, so hätte ihn Christus mit Wort und Beispiel gewiß aufgezeigt. Mahnt er doch alle Jünger, die ihm nachfolgen und auch die ihm nachfolgen wollen, so klar wie möglich, das Kreuz zu tragen, indem er (Luk. 9, 23) spricht: Wenn jemand mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.

Nachdem man also alles durchlesen und durchforscht hat, ist dies (Apg. 14, 22) der Schluß: Durch viele Trübsale müssen wir in das Reich Gottes eingehen.[82]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 76-83.
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