Gruß an Lichtenthal

[176] 1845.


Hier bin ich wieder! sei gegrüßet

Zum zweitenmal, mein lichtes Tal,

Sieh! deine Klarheit, deinen Frieden

Verglich ich einst dem Mondenstrahl.


Wo aus der Waldnacht rauscht die Quelle

Blitzend und kühl das Tal entlang,

Hell niedertönt ins Quellenrauschen

Aus Lüften blau der Vögel Sang.


Warst mir doch lieber als die Sonne,

Dein Baden, schön wohl anzusehn,

Wenn dort Britannias schlanke Töchter

Durchsichtig weiß wie Lilien gehn.


Mein Tal! es lag ein harter Winter

Indessen schwer auf mir und dir.

Der Lenz hat ihn von dir genommen,

Doch ach! er nahm ihn nicht von mir.


Ich sink', o Tal! in deinem Frieden

Ans Herze der Natur und fleh':

Nimm mir vom Aug' den trüben Schleier!

Nimm mir vom müden Haupt den Schnee!


Gib Helle mir wie deinen Quellen,

Wie deinen Vögeln mir ein Lied!

Laß neu mich blühen, neu mich singen,

Hier, wo es ringsum singt und blüht.


Soll's nimmer sein, so flöß mir Ruhe

Ins Herz, zu tragen still mein Los!

Die Lerche, hat sie ausgesungen,

Senkt sich zur Erde klagelos.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 176.
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