10.
10. [Ha! schaut den bleifarb'gen Mann]

[54] Ha! schaut den bleifarb'gen Mann,

Der hat auf seiner Lebensbahn

Einst nichts gefühlt und nichts gedacht,

Als wie man falsche Münze macht.

In dem Gewölbe, wo er sann,

Kommt er als Nachtgespenst oft an,

Dann mischt sich des Gewölbes Luft

Mit Bleidampf und mit Leichenduft.


Stumm einen Mörser trägt er her

Und stoßt, als wenn was in ihm wär';

Der Mörser aber, der ist leer,

Denn jeder Stoß gibt einen Schall,

Hell wie die Sünderglöcklein all:

Bei jedem Stoße blickt er stumm

Und scheu in dem Gewölb' herum,

Dann schleppt er einen Sack herbei

Und zählt, dumpf tönt's wie Zinn und Blei.[55]

So tönt es bis zum Hahnenschrei,

Und plötzlich dann in Schwefelluft

Zerfließet der bleifarbne Schuft,

Und bis zu seiner Wiederkehr

Ist's im Gewölbe stumm und leer.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 2, Berlin 1914, S. 54-56.
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