12.
12. [Aus des Burgverlieses Trümmer]

[57] Aus des Burgverlieses Trümmer

Steiget in des Mondes Schimmer

Oft der Alte bleich herauf.

Schlimm war seines Lebens Lauf,[57]

Wein trank er in vollen Zügen,

Weniger würde daran liegen,

Schlimmeres doch hat er gestiftet:

Denn in einem Kelch voll Punsch

Hat er seine Frau vergiftet,

Die nicht war nach seinem Wunsch.

Talwärts zieht es ihn nun immer,

Suchen will er jenes Haus,

Wo er einst bei einem Schmaus

Jene Greueltat vollbracht.

Sucht und sucht, doch findet's nimmer;

Denn bei Kaiser Konrads Schlacht

Fiel es schon in Asch' und Trümmer;

Doch er schwebt noch immerdar,

Schwebet schon viel hundert Jahr.

Oft durch meinen Garten schwebt er,

Dann den Kelch, den schwarzen, hebt er

Vor dem Kreuz am Schweizerhaus

Stöhnend in die Nacht hinaus.

Drauf vom Kreuzesbilde immer

Sinkt auf ihn ein heller Schimmer,

Und ich glaub', daß jetzt dem Armen

Reue kommt und bald Erbarmen.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 2, Berlin 1914, S. 57-58.
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