Dritte Vorstellung.

[128] In demselben Zimmer saß ein Herr mit einem Ordensband; man hieß ihn den Grafen Maslach, der verzehrte einen frikassierten Fasanen, und hinter seinem Stuhle stand der kleine Mohr zur Aufwartung.

Der Mohr lächelte mich wieder gar freundlich an, zog ein Stück Kreide hervor und zeichnete flugs mit ein paar Zügen dem Grafen einen Eselskopf auf den Rücken, woran ich erkannte, daß der Mohr mein Laternenputzer Felix war.

Der Graf bemerkte durch die vor und hinter ihm hängenden Spiegel den Eselskopf, sprang vom Stuhle auf, den Mohren zu packen, als derselbe schon längst die Treppe hinabgesprungen.

»Mohr bleibt doch immer Mohr,« sprach der Graf zu mir, indem ich in einen Hasenschlegel biß; »ich mag den Kerl prügeln, sooft ich will, so bleibt er stets ein wildes, halsstarriges Tier. Übrigens schone ich ihn immer, soviel ich kann. Seine Lebensgeschichte ist sehr interessant; er ist eigentlich eines afrikanischen Königs Sohn, und ich hab' ihn auf meinen Reisen an der Küste von Koromandel mit mehreren Papageien, Affen, Kolibris und Straußeneiern teuer erkauft.

Der weiße Mann fragte mich leise, ob ich nicht glaube, daß er dem Grafen den Eisenhammer deklamieren solle? Ich sagte: »Allerdings, tun Sie das!« Da stand er auf und machte eine Verbeugung gegen den Grafen; aber im nämlichen Momente trat Felix wieder herein in seinem alten Grenadiersrock und mit weißem abgewaschenen Angesicht. Er stellte sich mit andern Betteljungen an die Türe, und ehe der weiße Mann Zeit gewann, den Mund zu öffnen, fing er mit heller Stimme also zu singen an:


[128] 1»Es spielt ein Graf mit seiner Magd

Bis an den hellen Morgen,

Bis daß das Mägdlein schwanger war,

Da fing es an zu weinen.

Weine nicht, weine nicht, brauns Mägdelein,

Ich will dir alles bezahlen,

Ich will dir geben den Mohren mein,

Dazu fünfhundert Taler. –

Den Mohren dein und den mag ich nicht,

Will lieber den Herren selber.

Wann ich den Herrn nicht selber kann han,

So geh' ich zu meiner Mutter!

In Freuden bin ich von ihr gegangen,

In Trauern wieder zu ihr. –

Und da sie vor die Stadt Augsburg kam,

Wohl in die enge Gasse,

Da sah sie ihre Mutter stehn

Bei einem kühlen Wasser.

Bist du willkommen, liebs Töchterlein,

Wie ist es dir ergangen,

Daß dir dein Rock von vornen so klein

Und hinten viel zu lange? –

Und wie es mir ergangen hat.

Das darf ich Euch wohl sagen:

Ich hab' mit einem Edelherrn gespielt,

Ein Kindlein muß ich tragen. –

Hast du mit einem Edelherrn gespielt,

Du brauchst es niemand zu sagen:

Wenn du dein Kindlein zur Welt gebierst,

In Rheinstrom wollen wir's tragen. –

Ach nein, ach nein, liebe Mutter mein!

Das wollen wir lassen bleiben,

Wann ich das Kind zur Welt gebär',

Dem Vater will ich zuschreiben.

Ach Mutter, liebe Mutter mein!

Macht mir das Bettlein nicht zu klein;[129]

Darin will ich leiden Schmerz und Pein

Dazu den bittern Tod. –

Und da es war um Mitternacht,

Dem Edelherrn träumt' es schwer,

Als wenn sein herzallerliebster Schatz

In dem Kindbett gestorben wär'.

Steh auf, steh auf, lieb Reitknecht mein!

Sattle mir und dir zwei Pferd':

Wir wollen reiten bei Tag und Nacht,

Bis wir den Traum erfahren. –

Und als sie über die Heid' 'naus kamen,

Hörten sie ein Glöckchen läuten:

Ach, großer Gott vom Himmel herab,

Was mag doch dies bedeuten?

Und als sie vor die Stadt Augsburg kamen

Wohl vor die hohen Tore,

Da sahen sie vier Träger schwarz

Mit einer Totenbahre.

Stellet ab, stellet ab, ihr Träger mein,

Laßt mich den Toten beschauen,

Es möchte mein' Herzallerliebste sein

Mit ihren schwarzbraunen Augen. –

Da hob er auf den Schleier weiß,

Besah wohl da ihr Herze:

Es ist einmal mein Schatz gewest,

Nun fühlt sie keinen Schmerzen. –

Da hob er auf den Schleier weiß,

Besah wohl ihre Hände:

Es ist einmal mein Schatz gewest,

Nun aber hat's ein Ende. –

Da hob er auf den Schleier weiß,

Besah wohl ihre Füße:

Es ist einmal mein Schatz gewest,

Nun aber schläft sie süße. –

Da zog er aus sein glänzend Schwert,

Und stach es sich ins Herze:

Hast du gelitten den bittern Tod,

So will ich leiden den Schmerzen. –[130]

O nein, o nein! o Edelherr! nein,

Das sollt Ihr lassen bleiben:

Es hat schon manches liebe Paar

Voneinander müssen scheiden.

Machet uns, machet uns ein tiefes Grab,

Wohl zwischen zwei hohen Mauern,

Da will ich bei meinem herzliebsten Schatz,

In seinen Armen trauern. –

Sie begruben sie auf den Kirchhof hin,

Ihn aber unter den Galgen.

Es stunde an kein Vierteljahr,

Eine Lilie wächst aus seinem Grabe,

Es stund geschrieben auf den Blättern dar,

Beide wären beisammen im Himmel.

Und der dies Lied gesungen hat.

Der war des Grafen sein Mohr,

Er wusch sich an dem Brunnen weiß,

Und zog ans Meer daran.«


Mit dem letzten Worte war Felix verschwunden. Der Graf hatte in ihm seinen Mohren erkannt und hatte schon die Gabel aufgehoben, um ihn, wie einst König Saul den singenden David, an die Wand zu spießen; als er, wie erstarrt, wieder zurücksank.

»Himmel!« sprach er endlich, »der Hund hätt' mich betrogen! alsbald werd' ich ihn der Polizei angeben.« Da stand er auf und ging zur Türe hinaus, mehr aber um seine Verlegenheit zu verbergen, als den afrikanischen Prinzen aufsuchen zu lassen.

Fußnoten

1 Diese Ballade ist, wie sie gewöhnlich vom Volke in Schwaben gesungen wird, hier aufgenommen. Das Wunderhorn gibt sie nicht vollständig. Nie vier letzten Strophen hier sind, wie leicht zu ersehen, ein neuer Zusatz.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 128-131.
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