Vierte Vorstellung.

[131] Der weiße Mann hatte schon vor dem Spuk einen Haß auf Felix gefaßt; wahrscheinlich wegen seiner schwarzen Farbe, nun aber, da er durch ihn abermals in seiner beginnenden Deklamation unterbrochen wurde, brach er in gar derbe Schimpfreden also aus:

»Diese schlechte Bänkelsängerei gegen den Eisenhammer1! Der Erzbetrüger! und durch die Fistel sang er's! Ich hielt die Ohren zu, es war unerträglich.[131]

›Da hob er auf den Schleier weiß‹ (sic!). Warum nicht den weißen Schleier? Überdies ist das ganze Ding noch höchst unmoralisch, ich errötete.


›Weine nicht, weine nicht, brauns Mägdelein.‹


Wie abgeschmackt! welcher Mann wird an der Bräune eines Mägdleins Gefallen finden! ›Mägdelein‹ soll wahrscheinlich kindlich und naiv sein, ist aber nur kindisch!

›Ich will dir geben den Mohren mein‹ (sic!). Warum nicht meinen Mohren, oder besser meinen Heinrich, meinen Johann?

Überhaupt lauteten diese Verse so gegeben viel besser:


Ha! trockne die Tränen, schön Röschen traut,

Du wirst meines Johanns stattliche Braut;

Bekömmst, so wahr ich kein Pratzler!

Zur Mitgift fünfhundert Taler.


Und gleich darauf:


O nein! Herr Oberst! da wird nichts daraus.

Zur sorgsamen Mutter kehr' ich nach Haus.

Frischblühend bin ich gegangen,

Nun bleichet Schwermut die Wangen.


Sehen Sie! nicht wahr! das läßt anders und eignet sich fast zu einer Deklamation. Ja der Teufel! bearbeitet muß alles sein! gefeilt! gefeilt! Der Dichter steht nicht gleich so da, er muß einen Schulsack haben, das fehlt denen Herren, gründliches Studium der Klassiker.

Was spanisch! was italienisch! was altdeutsch! verstünden die Herren nur erst Neudeutsch, den Adelung und die Grammatik. Nur durch die Sprache der Griechen und Römer kann man Deutsch lernen. Solche Herren können wohl auch einen Lorbeerkranz erhalten; aber nur aus der Hand eines Pfalzgrafen. Aber da nützt alles Reden nichts, die Herren machen sich's gern kommode.

An solche Lumpen, an solche Betrüger, wie da der Pseudomohr war, wenden sie sich; das sind die Dichter der höchstgepriesenen Volkslieder, die Erhalter der deutschen Poesie! – Ich setze meinen Kopf zum Pfande, der Schuhputzer da hat die Reimerei selbst gemacht.

Wenn ich nur so einen Kerl auf der Straße singen höre, so einen Schneider, so einen Schmiedeknecht, bekomm' ich vor Ingrimm über den ganzen Leib ordentlich eine Gänsehaut.[132] Alles Wandern, alles Zunftwesen hätte man doch schon langst verbieten sollen.

Sie können nicht glauben, welche Immoralität diese Handwerksbursche durch ihre Schelmenlieder in allen Gegenden verbreiten! Gehen Sie nur einmal an einem Sonntag abends in eine Stadt, wo Fabriken sind: da laufen die Kerle frech, Arm in Arm, auf offener Straße; und nicht genug, daß man ihnen das Rauchen erlaubt, sie gehen mit aufgesperrten Mäulern selbst an der Polizei vorüber und – singen!«

Fußnoten

1 »Der lieben Dummheit muß hier bemerkt werden, daß dies ein Scherz, wenn sie weiß, was ein Scherz ist, kein Schimpf gegen Schiller sei.« Die Verleger mehrerer kritisierender Blätter mögen mir verzeihen, daß ich in den Worten des weißen Mannes den gänzlichen Inhalt ihrer Schriften nachdrucke.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 131-133.
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