[87] Indes der Mönch so sprach, trafen wir im Dunkel des Waldes auf eine Gesellschaft Zigeuner.
Die Männer richteten Metalle, Kräuter und Wurzeln zu Tränken und Tinkturen am Feuer zu, die Weiber aber sonnten ihre braunen Kinder im Waldgras.
Jenes kleine braune Mädchen, das am Markttage in jener Wirtsstube seine Kunst zeigte, erblickte ich da wieder.
Es saß, sich auf und nieder schaukelnd, frei auf dem Zweige einer alten Eiche und hatte sich mit Waldblumen und Laubwerk umhängt. Die Leute grüßten uns freundlich. Das Mädchen sang:
»Vogel gestern,
Blume heut,
Schlange morgen –
Traut nicht, Leut'!«
»Die wirksamsten, unserer Arzneimittel«, sprach der Mönch, »verdanken wir den Zigeunern.
Viele heilsame Pflanzen haben sie aus fremden Ländern mitgebracht und in unsern Wäldern angesäet. Das Bilsenkraut, dieses edle Kraut, ist, seit man dieses Volk auszurotten sich bestrebt, in manchen Gegenden, die es einst im Überfluß besaßen, nicht mehr zu finden.
Bemerket diesen Stein hier,« sprach der Geistliche, »er hat die Gestalt eines Sitzes und wird Nonnensessel genannt.
Im Dunkel dieses Waldes stand dereinst ein Frauenkloster. Tief innen findet Ihr noch ein steinern Kreuz und einen Schöpfbronnen. Von demselben Bronnen hat sich im Gesang der Landleute folgende Sage erhalten:
In Waldesdunkel steht ein Bronn,
Beim Kloster der weißen Frauen,
Der Bronn viel hundert Klaster tief
In Felsen gut gehauen.
Saß auf dem Baum Waldvögelein,
Sank auf den Berg die Sonne,
Hört an, o hört an! was sich begab
Da bei demselben Bronne.
Graf Asper von der Heerfahrt kam,
Wollt' kühlen Trunk sich langen,[87]
Er trieb wohl um das eiserne Rad,
Die Ketten hell erklangen.
Bum! bum! herauf der Eimer flog,
Dumpf tönt es in dem Grunde,
Kein kühles Wasser in ihm war,
Ein Zwerglein darin stunde.
›Steig ein, steig ein, du Recke kühn!
Dein begehrt mein Herr zur Stunde!‹
Graf Asper kehrt nicht mehr zur Burg
Dumpf tönt es in dem Grunde.
Flog von dem Baum Waldvögelein,
Stieg über den Berg die Sonne,
Hört an, o hört an! was sich begab
Da bei demselben Bronne.
Eine Klosterjungfrau trat heraus,
Wollt' kühlen Trunk sich langen,
Sie trieb wohl um das eiserne Rad,
Die Ketten hell erklangen.
Bum! bum! herauf der Eimer flog,
Dumpf tönt es in dem Grunde,
Kein kühles Wasser in ihm war,
Graf Aspers Geripp drin stunde.
Weinen möcht' ich,« sprach der Mönch weiter, »wenn ich so überdenke, wie vieles Herrliche die neuere Zeit unwiederbringlich zerstörte, hätt' ich nicht der Natur in ihrer Stille aufgehorcht, in ihrem Wachstum ihren Gang betrachtet und gefunden, wie eine Wiederkehr des alten Glaubens allmählich in ihr sich heranbewegt. Gleichwie in jeder einzelnen keimenden Blume die Züge des ganzen kommenden Frühlings liegen, so liegen im Kinde die Züge eines künftigen Geschlechtes.
Betrachtet eine solche unverdorbene Pflanze genau, Ihr werdet finden, daß sich ihre Züge seit Jahren, einem falschen, aufklärenden Streben zum Nachteil, dem Glauben, der Liebe und Treue aber zur Förderung, immer mehr und mehr ändern.
O laßt nur getrost die Menschen walten, bauen und umgestalten, wie sie nur wollen! Sie prägen ihren Geist und Willen, ihr Dafürhalten dieser Erde nicht ein, so wenig als den Sonnenschein der ernsten Mitternacht, so wenig als sie verhindern können, daß der Frühling, der unter dem Schnee reist, endlich hervorbreche; erscheinen wird der Geist, der schon längst still in der ganzen Natur herankeimt, – der Geist des alten Glaubens.«
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