Fünfte Vorstellung.

[110] Die Studenten erhoben sich, und ich erkannte in einem derselben meinen Vetter, den Steinsammler, worüber ich eine große Freude empfand. Er lud mich ein, sein Zimmer zu besuchen. Dieses war in dem Hause, das man die Teufelsmauer nannte, ein Gebäude, in dem zwanzig Studenten ihr Wesen trieben.

Ich sah gar bald ein, daß eine wundersame Gesellschaft diese Mauern bewohnte; auch mein Vetter, der Steinsammler, war ein gar seltsamer Kerl. Er war dicker Leibeskonstitution, sein Gesicht war wie aus einem Speckstein geschnitten; sein Rock war wie von Granit und dabei fett anzufühlen: denn er trug ihn schon seit Erbauung der galvanischen Säule durch Volta. Die Knöpfe auf demselben Rocke waren von verschiedenem Metall und durch Berührung mit dem Sauerstoffe der Atmosphäre, wie sich mein Vetter ausdrückte, verkalkt.

Kein Kraut und kein Stein war in der weiten Schöpfung zu finden, dessen Namen mein Vetter nicht wußte; jedem Käfer und jedem geflügelten Samen, der durch die Luft flog, rief er mit seinem Linnéischen Namen zu.

Oft ging er, seinen Linné unter dem Arme, mit vieler Mühe auf einem Dache hin und her und sammelte zu seinem großen Werke: »Von den auf alten Dächern wachsenden Pflanzen«, neue Blüten. Auch mit Tierknochen hatte er viel zu schaffen und legte eine große Sammlung derselben an, weswegen die Fleischerhunde der Stadt seine erklärten Gegner waren.

In seinem Zimmer waren in einem Verschlage ein Dutzend weiße Katzen; die fütterte er auf, pflegte ihrer eigentlich, wie[110] man eines Blumenbeetes pflegt, und bestrich ihre Bälge täglich mit Fett, damit sie langhaarig werden sollten; alsdann hatte er im Sinne, sie alle auf einmal abzuziehen, um sie zu elektrischen Versuchen zu gebrauchen.

Auf dem Katzenverschlage standen mehrere mir unbekannte Gewächse. »Ich bemerkte,« sprach mein Vetter, »daß einige Pflanzen, wie einige Menschen, die Nähe der Katzen gar nicht ertragen können und in ihrer Atmosphäre bald welken, und mache nun mit einer Reihe von Pflanzen bei dieser Gelegenheit in Versuche.«


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 110-111.
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