Vierte Vorstellung.

[108] Ich hatte mich kaum von meinem Erstaunen erholt, so war der Doktor schon verschwunden. Nein! sprach ich bei mir, so was ist mir noch nie vorgekommen! das geht über alle Träume! und doch war ich so gänzlich überzeugt, daß der Mann mein Stock war.

Es gibt ungeheuer viel Dinge unter dem Monde, dacht' ich mit Shakespeare, von denen sich unsere Rezensenten nichts träumen lassen, und suchte, als es mir schwindelig zu werden anfing, mir nur alle Gedanken an den Stock aus dem Sinne zu schlagen.

Die salzsaure Schwererde war eine elende, verlassene Herberge, die nicht zu meiner Zerstreuung dienen konnte, auch fürchtete ich das Zusammentreffen mit dem Doktor Legens, der mir ganz bange machte und mir nicht anders als wie eine bezauberte Puppe vorkam. Dagegen sah ich in ein benachbartes Haus viele junge Leute eingehen, denen ging ich nach.

Es ging in einen sogenannten Hörsaal, allwo ein Professor Vorlesungen hielt.

Ich hatte mich mit den andern niedergesetzt und war schon eine geraume Zeit da, ohne daß ich den auf dem Katheder stehenden Mann sprechen hörte, ob ihn gleich die Studenten mit außerordentlicher Aufmerksamkeit ansahen, auch sein Mund sich zu bewegen schien.

Endlich hörte ich mehrere Worte und vernahm, daß es eine historisch-kritische Vorlesung über den Untergang der Welt durch Wasser war.

Der Professor wurde immer lauter und lauter, und nun tönte seine Rede gar angenehm wie ein murmelnder Bach. Ich ward bald zum süßesten Schlaf gestimmt, und ward mir zumute wie einem müden Hirten, der seine Glieder an einem Waldbache geruhig zum Schlafe ausstreckt.[108]

Den Studenten war es allen auch so, alle schliefen bereits, und doch sahen sie den Professor mit offenen, starrstaunenden Augen an, worüber er insgeheim eine große Freude empfand.

Gegen meinen Nebenmann, einen Dichter, sprach der Professor immer hin: denn derselbe nickte öfters schlafend mit dem Kopfe, welches der Professor für eine Bezeugung seines Beifalls hielt.

Der träumende Dichter aber ward in eine höchst romantische Waldgegend versetzt. Kühle Lüftchen spielten mit den Zweigen der Buchen, und der Schein des Mondes vermengte sich mit dem grünen Laube.

Die Hütte einer Schäferin blickte aus dem Gebüsche halb im Gezweige versteckt, die Schäferin öffnete das Fenster und sah den lichten Wolken zu, wie sie über den Wald hinliefen.

Der Träumende wollte schon aus dem Gebüsche treten, um ihr seine Liebe zu gestehen, da kommt ein junger, schöner Jäger des Wegs gegangen, der nähert sich der Hütte und spricht:


Der Tag ist gegangen,

Hier irr' ich allein,

Wie graut mir hier außen!

O laß mich hinein!


DIE SCHÄFERIN spricht.

Hier innen ist dunkel,

Die Hütte ist klein,

Der Mond geht da draußen,

Du bist nicht allein.

DER JÄGER spricht.

Und willst du nicht öffnen,

So geh' ich in Wald

Und blase mein Hörnlein,

Das rüstig erschallt.

Und jage die Wolken

Vom Himmel wohl all,

Da tanzen die Sterne

Zum lustigen Schall.

DIE SCHÄFERIN spricht.

Ich fühle, darfst glauben,

Indessen kein Leid;

Ich treibe wohl träumend

Die Schäflein zur Weid';

Ich lausche dem Vogel,

Er singet von Scherz,

Ich liege bei Blumen –

Das bringet nicht Schmerz.[109]

Die letzten Worte der Schäferin hatten den furchtsamen Dichter ganz abgeschreckt, obschon der Jäger schon tief im Walde ins Hörn stieß.

Er schlich sich trauernd ins Gebüsche zurück, um sich am murmelnden Bache weinend niederzulegen, stand auch wirklich im Schlafe auf und lief bis zum Katheder vor, allwo er sich mit einem entsetzlichen Geheul niederlegte.

Die ganze schlafende Gesellschaft erwachte.

Der Professor äußerte die Besorgnis, daß noch mehrere der Kandidaten durch seine Vorlesungen über den wahrscheinlichen Untergang der Welt durch Wasser in eine so wehmütige Seelenstimmung verfallen könnten, und beschloß eilends die Vorlesung, indem er noch den Trost gab: alle die hier aufgezählten Gründe und Meinungen anderer Philosophen über diese Sache in der morgenden Vorlesung gänzlich zu widerlegen.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 108-110.
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