Dritte Vorstellung.

[115] »Dem scharfsinnigen Beobachtungsgeiste Herrn Doktor Siebbeins entging bei Eröffnung dieses Fasses nicht eine runde, warzenförmige Hervorragung, protuberantia Siebbeiniana (Siebbein machte eine tiefe Verbeugung), an welcher er auf meinen Rat so lange zog, bis sie nachgab und ihr noch zwanzig bis dreißig derlei Tuberkeln, Wärzchen oder schwarze Kügelchen folgten, die sich als ein Paternoster zu erkennen gaben, an welchem unten ein Kreuz von Marienglas hing.

Herr Doktor Siebbein stieß anjetzo auf einen Holzschnitt, den heiligen Rochus darstellend, bei dessen Auseinanderfaltung eine Menge teils gedruckter, teils geschriebener Mord- und Galgenhistorien, Gassenhauer- und Handwerksburschlieder über die Hände des untersuchenden Herrn Doktors Siebbein flossen.

Nun aber stieß Herr Doktor Siebbein, seiner Aussage nach, auf den podicem eines im Faß lauschenden suspekten Produkts.

Wir riefen podici zu, unter Erlassung aller Strafe freiwillig herauszusteigen, und wir taten dies zu wiederholten Malen.

Da aber weder Bewegung noch Antwort erfolgte, so zog Herr Doktor Siebbein auf meinen Rat mit Gewalt an Produkten, und wir erkannten in ihm ein Paar Hosen, die mit schwarzer und weißer Wäsche völlig ausgestopft waren und beim ersten Zufühlen füglich für die Leibesteile eines im Fasse sich ungebührlicherweise versteckt habenden halben Studiosi gehalten werden konnten.

Ein harter Körper war es nun, der Herrn Doktor Siebbeinen jedes weitere Eindringen schwierig machte. Ich gab ihm den Rat, denselben vor einer weiteren Untersuchung zu entfernen und herauszunehmen; da zeigte sich derselbe als ein dicker, in Pergament gebundener Folioband, enthaltend die Werke Hans Sachsens, welchem noch drei derlei nebst einigen Quartbänden nachfolgten, betitelt: das Lied der Nibelungen, das Heldenbuch mit seinen Figuren, Historia aller Heiligen, Des Knaben Wunderhorn, altdeutsche Lieder.

Da wir jetzt nichts mehr als kleine Schriften und Blätter im Grunde des Fasses bemerkten, so stürzte Herr Doktor Siebbein das Faß um und ließ diese Fluida herauslaufen, die wir[115] teils für eigene geschriebene Lieder Produktens, teils für Auszüge aus den Werken Jakob Boehmes, Novalis' und anderer wahnwitziger Skribler, teils aber für höchst verdächtige, moralitätswidrige Schriften erkannten, die folgende Titel führten:

1. Fortunatus mit seinem Seckel und Wünschhütlein, wie er dasselbe bekommen und ihm damit er gangen.

2. Wunderbarliche und seltsame Historien Till Eulenspiegels.

3. Die nützliche Unterweisung der sieben weißen Meister.

4. Historia von der unschuldig bedrängten Genoveva, wie es ihr in Abwesenheit ihres herzlichen Ehegemahls ergangen.

5. Historische Wunderbeschreibung von der schönen Melusina, König Helmas in Albanien Tochter, welche eine Sirene und Meerwunder gewesen.

6. Historia von der schönen Magelona, eines Königs Tochter von Neapolis, und einem Ritter, genannt Peter mit den silbernen Schlüsseln.

7. Kaiser Oktavianus, das ist, eine anmutige Historie, wie Kaiser Oktavianus sein Weib samt zween Söhnen ins Elend geschickt.

8. Wunderschöne Historia von dem gehörnten Siegfried, was wunderliche Abenteuer dieser teure Ritter ausgestanden.

9. Schöne und lustige Historie von den vier Haimonskindern, Adelhart, Ritsart, Wiritsart und Reinold, samt ihrem Roß Beyart; was sie für ritterliche Taten gegen die Heiden begangen.

10. Historia von Markgraf Waltern, darinnen dessen Leben und Wandel und was sich mit ihm zugetragen.

11. Historia von dem edeln Finkenritter, oder vom weiterfahrnen Ritter, Herrn Polycarpo von Klarissa, genannt der Finkenritter.

Bei Ausklopfung des Fasses folgte auf diese Schriften eine Menge Staub mit denen Exkrementen von Spinnen und Mäusen vermischt, welcher Staub sorgfältig zusammengekehrt und zu einer weitern chemischen Untersuchung in verschiedene Gläser verteilt wurde.«


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 115-116.
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