Fünfter Auftritt

[46] Max. Kaspar, herbeischleichend. Samiel, größtenteils unsichtbar. Ein Schenkmädchen.


KASPAR sobald Max ihn gewahr wird. Da bist du ja noch, Kamerad. Gut, daß ich dich finde.

MAX. Horchst du schon wieder herum?

KASPAR. Ist das mein Dank? Es fiel mir unterwegs ein guter Rat für dich ein; aus treumeinendem Herzen stehle ich mich fort, laufe mich fast außer Atem! Ich kann's, kann's nicht verschmerzen, daß du hier zum Spott der Bauern geworden bist. Teufel, die mögen gelacht haben! Ha, ha, ha! Aber was hilft's? Schlag dir's aus den Gedanken, Bruderherz! Er greift nach dem Krug. Wie? Was? Bier hast du? Das taugt nicht zum Sorgenbrecher! In den Schenkgiebel rufend. Wein! Wein! Zwei Paßgläser! – Kamerad! und kostete es mich den letzten Heller, ich kann dich nicht so traurig sehen! du mußt mit mir trinken. Ein Schenkmädchen hat indes das Geforderte gebracht

KASPAR zu dem Mädchen. Laß ankreiden!


[46] Mädchen geht mit unwilligem Blick ab.


MAX. Damit verschone mich! Mein Kopf ist ohnedies wüst genug. Er legt den Kopf in die Hände.

KASPAR tropft geschwind aus einem Fläschchen etwas in das für Max bestimmte Glas; für sich. So, Freundchen! da brauchst du wenig! Er gießt schnell Wein ein. Hilf, Samiel! Samiel schaut mit dem Kopf aus dem Busch, an welchem sie sitzen.

KASPAR erschrocken. Du da? Samiel verschwindet.

MAX auffahrend. Mit wem sprachst du?

KASPAR. Ich? Mit niemand. Ich sagte: »So, Freundchen!« weil ich dir einschenkte.

MAX. Ich mag aber nichts.

KASPAR. Der Herr Förster soll leben! Die Gesundheit deines Lehrherrn wirst du doch mittrinken? Er reicht Max das Glas mit den Tropfen.

MAX. So sei's! Sie stoßen an und trinken.

KASPAR. Nun laß uns eins singen! – »Semper fröhlich nunquam selig, immerhin!« Max bezeigt seinen Unwillen. Das gefällt dir nicht? Nun denn, ein andres!


Nr. 4. Lied


KASPAR.

Hier im ird'schen Jammertal

Wär' doch nichts als Plack und Qual,

Trüg' der Stock nicht Trauben;

Darum bis zum letzten Hauch

Setz' ich auf Gott Bacchus Bauch

Meinen festen Glauben!

Ei, du mußt mitsingen!


Er trinkt.


MAX. Laß mich!

KASPAR. Jungfer Agathe soll leben! Wer die Gesundheit seiner Braut ausschlüg', war' doch wahrlich ein Schuft!

MAX. Du wirst unverschämt.


Sie stoßen an und trinken.


KASPAR.

Eins ist eins, und drei sind drei!

Drum addiert noch zweierlei

Zu dem Saft der Reben;

Kartenspiel und Würfellust[47]

Und ein Kind mit runder Brust

Hilft zum ew'gen Leben!

Mit dir ist aber auch gar nichts anzufangen!


Er trinkt.


MAX. Wie kannst du mir zumuten, in so etwas einzustimmen?

KASPAR. Unser Herr Fürst soll leben! Wer nicht dabei ist, ist ein Judas!

MAX. Nun denn, aber dann auch keinen Tropfen mehr! Sie stoßen an und trinken. Max weht sich mit dem Hute Luft zu und gibt sonst zu erkennen, daß ihm heiß sei.

KASPAR.

Ohne dies Trifolium

Gibt's kein wahres Gaudium

Seit dem ersten Übel.

Fläschchen sei mein Abc,

Würfel, Karte, Katherle,

Meine Bilderfibel!

MAX. Elender! Agathe hat recht, wenn sie mich immer vor dir warnt. Er will fort. Man merkt ihm von jetzt eine gewisse Heftigkeit an, einem leichten, aber bösen Rausche gleich.

KASPAR. Wie kannst du auch gleich so in Harnisch geraten, Bruderherz? Ich diente noch als Milchbart unter dem Altringer und Tilly, und war mit beim Magdeburger Tanz; unterm Kriegsvolk lernt man solche Schelmliedlein. Die Dorfuhr schlägt. Max steht auf. Willst du schon nach Hause?

MAX. Ja, es wird Zeit. Das schlug sieben!

KASPAR. Zu Agathe? Da weiß ich doch nicht! – du könntest sie erschrecken! Weißt du nicht, daß sie auf einen Gewinn als gute Vorbedeutung für morgen hofft?

MAX. Ach, die Arme! Und ich selbst! Morgen!

KASPAR. Bleib noch und laß dir raten! Deshalb hab' ich dich eigentlich aufgesucht. Dir könnte gar wohl geholfen werden!

MAX. Mir geholfen?

KASPAR geheimnisvoll. Um dir ganz meine Freundschaft zu beweisen, könnte ich dir unter vier Augen – nicht umsonst habe ich gegen dich zuweilen ein Wort fallen lassen. – Es gibt allerdings gewisse geheime Kräfte der Natur – gewisse unschuldige Jagdkünste – diese Nacht, wo sich die Mondscheibe verfinstert, ist zu großen[48] Dingen geschickt! – Ein alter Bergjäger hat mir einmal vertraut –


Man sieht Samiel von Zeit zu Zeit lauschen, ohne daß ihn die Sprechenden bemerken.


MAX. Du missest mir das Gift tropfenweis' zu –

KASPAR. Wie wär's, Kamerad, wenn ich dir noch heute zu einem recht glücklichen Schuß verhülfe, der Agathe beruhigte und zugleich euer morgendes Glück verbürgte?

MAX. Du fragst wunderbar. Ist das möglich?

KASPAR. Mut! Mut! Was die Augen sehen, glaubt das Herz. Da, nimm meine Büchse!

MAX. Was soll ich damit?

KASPAR. Geduld! Er sieht nach dem Himmel. Zeigt sich denn nichts? Schnell, indem er ihm das Gewehr gibt. Da! da! Siehst du den Stößer dort? Schieß!

MAX. Bist du ein Narr, oder glaubst du, ich bin's? Es ist ganz düster, der Vogel schwebt wie ein schwarzer. Punkt in der Luft, wolkenhoch über der Schußweite!

KASPAR. Schieß ins T – Schellobers Namen! Ha, ha!

MAX berührt wie im Zweifel den Stecher, das Gewehr geht los. In demselben Augenblick hört man gellendes Gelächter, so daß sich Max erschrocken nach Kaspar umsieht. Was lachst du? Wie Fittiche der Unterwelt kreist's dort oben – Ein mächtiger Steinadler schwebt einen Augenblick wirbelnd in der Luft und stürzt dann tot zu Maxens Füßen. Was ist das?

KASPAR der ihn aufhebt. Der größte Steinadler, den es gibt! Was für Fänge, und wie herrlich getroffen! Gleich unterm Flügel, sonst nichts verletzt! Kannst ihn ausstopfen lassen, Bruder, für ein Naturalienkabinett.

MAX. Aber ich begreife nicht – diese Büchse ist doch wie jede andere –

KASPAR. Viktoria! das wird dich bei den Bauern in Respekt setzen! das wird Agathe erfreuen! Er rauft einige der größten Federn aus und steckt sie auf Maxens Hut. So, Kamerad, dies als Siegeszeichen.

MAX. Was machst du? – Wird mir doch ganz schauerlich! – Was hast du geladen? Was war das für eine Kugel?[49]

KASPAR. Gar keine Kugel, Närrchen! Eine trächtige Blindschleiche! die trifft allemal.

MAX. Träum' ich denn, oder bin ich berauscht? So etwas ist mir noch nie begegnet! – Kaspar, ich bitte dich, ich beschwöre dich! Er faßt ihn. Kaspar, ich bringe dich um! Sag', was war das für eine Kugel?

KASPAR. Bist du verwirrt vor Freuden? Ich teile sie mit dir! Er umarmt ihn. Nicht, Freundchen! das war ein Schuß? Laß mich los!

MAX läßt ihn los. Wo hast du die Kugel her?

KASPAR. Nun, wenn du Vernunft annimmst – so sag' mir – du, der wackerste Jäger, bist du oder stellst du dich nur so unerfahren? Wüßtest du wirklich nicht, was eine Freikugel sagen will?

MAX. Albernes Geschwätz!

KASPAR. Da lernt man's doch besser unter dem Kriegsvolk. Ha, ha! wie kämen die Scharfschützen zurecht, die ihren Mann aus dem dicksten Pulverdampf herausschießen? Oder hast du nie nachgedacht, wie der Schwedenkönig, trotz seines Kollers von Elenshaut, bei Lützen gefallen ist? Zwei silberne Kugeln hieß es. Ja, ja, der Gescheite kennt das! Doch zu so etwas bedarf's anderer Künste, als bloß zu zielen und loszudrücken.

MAX den Adler betrachtend. Der Schuß ist unglaublich – in trüber Dämmerung – aus den Wolken herabgeholt! So wäre es doch wahr?

KASPAR. Zudem ist's wohl zweierlei, einem armen Erdensohn aus dem Hinterhalt das Lebenslicht ausblasen und sich eine Erbförsterei und ein allerliebstes Mädchen erschießen!

MAX vor sich selbst brütend. Hast du noch mehr solche Kugeln?

KASPAR. Es war die letzte – sie haben gerade ausgereicht. Pause.

MAX. Bist du doch auf einmal so wortkarg! – Ausgereicht! Wie verstehst du das?

KASPAR. Weil sie in dieser Nacht zu bekommen sind.

MAX. In dieser Nacht?

KASPAR. Ja doch! Drei Tage hintereinander steht jetzt die Sonne im Schützen, und heut ist der mittelste; heut, wenn sich die Tage scheiden, gibt's eine totale Mondfinsternis.[50] Max! Kamerad! Dein Schicksal steht unter dem Einfluß günstiger Gestirne! Du bist zu hohen Dingen ersehen! Heute, gerade in der Nacht zuvor, ehe du den Probeschuß tun, Amt und Braut dir gewinnen sollst, wo du der Hilfe unsichtbarer Mächte so sehr bedarfst, beut die Natur selbst sich zu deinem Dienst!

MAX. Wohl! Mein Geschick will's! Schaff' mir so eine Kugel!

KASPAR. Mehr als du brauchst! Aber bedarf der Mann eines Vormunds?

MAX. Wie erlangt man sie?

KASPAR. Das will ich dich lehren. Sei punkt zwölf Uhr in der Wolfsschlucht!

MAX. Um Mitternacht – in der Wolfsschlucht? Nein! Die Schlucht ist verrufen, und um Mitternacht öffnen sich die Pforten der Hölle.

KASPAR. Pah! – Wie du denkst! Und doch kann ich dich deinem Unstern nicht überlassen – ich bin dein Freund! ich will dir gießen helfen.

MAX. Auch das nicht!

KASPAR. So mach' dich morgen zum Landesgespött! Verlier die Försterei und Agathe! – Ich bin dein Freund, ich will selbst für dich gießen; aber dabei mußt du sein!

MAX. Deine Zunge ist glatt. Nein, an solche Dinge muß ein frommer Jäger nicht denken!

KASPAR. Feigling! Also nur durch fremde Gefahr, gäb's anders dergleichen, möchtest du dein Glück erkaufen? Glaubst du, dann wäre deine Schuld, gäb' es dergleichen, geringer? Glaubst du, diese Schuld, gäb' es dergleichen, laste nicht schon auf dir? Den Adler an den Fittichen ausspreizend. Glaubst du, dieser Adler sei dir geschenkt?

MAX. Furchtbar, wenn du recht hättest!

KASPAR. Sonderbar, wie du fragst! Doch Undank ist der Welt Lohn. Ich will mir hier einen Flederwisch abhauen, daß ich wenigstens etwas davontrage. Er haut einen Flügel ab. Drollig! um Agathe zu trösten, wagtest du den Schuß, sie zu erwerben, fehlt es dir an Herzhaftigkeit! Das würde sich das Wachspüppchen, das mich um deinetwillen verwarf, schwerlich einbilden! Für sich. Es soll gerochen werden![51] Max. Elender! Mut hab' ich –

KASPAR. So bewähr' ihn! Brauchtest du schon eine Freikugel, so ist's ja ein Kinderspiel, welche zu gießen. Was dir bevorsteht ohne diese Hilfe, kannst du aus deinen bisherigen Fehlschüssen leicht abnehmen. Das Mädchen ist auf dich versessen, kann nicht ohne dich leben: sie wird verzweifeln! Du wirst, allen Menschen ein Spott, herumschleichen, vielleicht aus Verzweiflung – Er drückt sich die Faust in die Augen, als träte das Wasser hinein. Schäme dich, rauher Weidmann, daß du ihn mehr liebst, als er sich selbst! Für sich. Hilf zu, Samiel!

MAX. Agathe sterben! Ich in einen Abgrund springen! Ja, das wär' das Ende! Er gibt Kaspar die Hand. Bei Agathes Leben! ich komme!


Samiel der bei den letzten Worten von links hervorgelauscht hat, nickt und verschwindet.


KASPAR. Schweig gegen jedermann! Es könnte dir und mir Gefahr bringen. Ich erwarte dich! Glock zwölf!

MAX. Ich dich verraten? Glock zwölf! Ich komme! Schnell ab. Es ist indessen ganz dunkel geworden.


Quelle:
Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Leipzig [o.J.], S. 46-52.
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