Mucius Mauke

[45] Mucius Mauke war schon von klein an auf sich selbst angewiesen. Wenn andere Kinder noch in den Windeln liegen, so wusch er dieselben schon. Als er eines Tages ins Wasser fiel, rettete er sich selbst durch Schwimmen vom Tode des Ertrinkens, ohne daß es dazu eines edelmütigen Arbeiters oder eines tatkräftigen Soldaten bedurfte, der sich etwa die Rettungsmedaille hätte verdienen wollen. Dieser Unglücksfall brachte Mucius auf den Gedanken, es als Schwimmkünstler zu versuchen. Er errang auch mehrere silberne Eierbecher und seidene Ehrenschleifen auf den verschiedensten internationalen Schwimmfesten, die er besuchte. Aber so ganz befriedigte ihn diese Tätigkeit nicht. Sie entbehrte des sittlichen Grundgehaltes, ohne den die Arbeit zur Farce oder zum Grimmassenschneiden wird. So ergriff er nacheinander den Beruf eines Austernfischers, Dentisten, fliegenden Buchhändlers, eines Zauberkünstlers,[45] Privatdozenten und Traktätchendichters. Jeder Beruf hatte einen Haken, der es einem schwer machte, sich nicht an ihm aufzuhängen. Aber Leben und Leben lassen war Mucius Maukes Prinzip. Er wurde Schneeschipper, wodurch es ihm jedoch im Sommer wieder an Beschäftigung gebrach. Gram umwölkte seine Stirn. Ein reiches Können ging mit ihm verloren, falls er nicht bald den rechten Beruf fand. Da, auf dem Wege nach Milbertshofen, erschien ihm eines Abends sein Gott in einer roten Gewitterwolke und sprach: »Mucius Mauke, wie aus einem Saulus ein Paulus wurde, soll aus einem Mauke quasi ent- und wieder re-materialisiert eine Pauke werden. Erkenne dich selbst.« Mauke sah an sich herab. Er war in der Tat zur Pauke geworden. Er brauchte nichts mehr zu tun, sondern hatte nur zu warten, daß man etwas mit ihm tat. Sein Leben verfloß von nun an geregelt und ohne Aufregung. Er stand im Münchner Hoforchester, das ihn käuflich erworben hatte. Das Ziel seines Lebens war erreicht.[46] Er war zu Musik, zu Klang, zur Inkarnation einer dröhnenden Sehnsucht geworden. Sehr bald verliebte er sich in die erste Flöte, und sie wurden ein glückliches Paar.[47]

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Klabund: Kunterbuntergang des Abendlandes. München 1922, S. 45-48.
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