Die Kriegsbraut

[37] Ich sage immer allen Leuten,

Ich wäre hundert Jahr ...

Die Hochzeitsglocken läuten ...

Es – ist – alles – gar – nicht – wahr.


Ich liebte einst einen jungen Mann,

Wie man nur lieben kann.[37]

Ich habe ihm alles geschenkt,

Tirili, tirila –

Er hat sich aufgehängt

An seinem langen blonden Spagathaar ...


Auf den Strassen wimmeln Geschöpfe:

Ohne Arme, ohne Beine, ohne Herzen, ohne Köpfe.

An der Weidendammer Brücke dreht einer den Leierkasten.

Nicht rosten

Nicht rasten –

Was kann das Leben kosten?

Er hat eine hölzerne Hand,

Aus seiner offnen Brust fliesst Sand.

Neben ihm die Schickse

Glotzt starr und stier.

Er hat statt des Kopfes eine Konservenbüchse,

Und sie ist ganz aus Papier.


Eia wieg das Kindelein,

Kindelein

Soll selig sein.


Mein Bräutigam hiess Robert.

Er hat ganz Frankreich allein erobert.

Dazu noch Russland und den Mond,

Wo der liebe Gott in einer goldnen Tonne wohnt.


Als er auf Urlaub kam,

Eia eia,[38]


Er mich in seine Arme nahm,

Eia, eia.

Die Arme waren aus Holz,

Das Herz war aus Stein,

Die Stirn war aus Eisen,

– Gott wollt's –

Wie sollt es anders sein?


Er liegt in einem feinen Bett ... trinkt immer Sekt ...

Eia popeia –

Er hat sich mit Erde zugedeckt,

Eia popeia.

Nachts steigt er zu mir empor.

Er schwankt wie im Winde ein Rohr.

Seine Augen sind hohl. Transparent

In der offenen Brust sein Herz rot brennt.

Seine Knochen klingeln wie Schlittengeläut:

Ich bin der Sohn des grossen Teut!


Flieg Vogel, flieg!

Mein Bräutigam ist im Krieg!

Mein Bräutigam ist im ewigen Krieg!

Flieg zum Himmel, flieg!

Fliege bis an Gottes Thron

Und erzähle Gottes Sohn:

– Vielleicht ihn freuts, vielleicht ihn reuts –

Millionen starben, Gott, wie du

Den Heldentod am Kreuz!

Noch ist die Menschheit nicht erlöst,[39]


Weil Gott im Himmel schläft und döst.

Wach auf, wach auf, und zittre nicht,

Wenn der Mensch über dich das Urteil spricht!

Gross, Herr im Himmel, ist deine Schuld,

Doch grösser war des Menschen Geduld.

Tritt ab vom Thron,

Du Gottessohn,

Denn du bist nur des Gottes Hohn:

Es flammt die himmlische Revolution.

Du sollst verrecken wie wir!

Tritt ab

Ins Grab,

Mach Platz

Der Ratz,

Dem Lamm oder sonst einem Tier!

Quelle:
Klabund: Das heiße Herz. Berlin 1922, S. 37-40.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das heiße Herz
Das heiße Herz

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon