Zwölfter Auftritt

[171] Gräfin Helena, der Graf vom Strahl treten auf. Fräulein Kunigunde.


KUNIGUNDE ihnen entgegen.

Verehrungswürd'ge! Meines Retters Mutter,

Wem dank ich, welchem Umstand, das Vergnügen,

Daß Ihr mir Euer Antlitz schenkt, daß Ihr

Vergönnt, die teuren Hände Euch zu küssen?

GRÄFIN.

Mein Fräulein, Ihr demütigt mich. Ich kam,

Um Eure Stirn zu küssen, und zu fragen,

Wie Ihr in meinem Hause Euch befindet?

KUNIGUNDE.

Sehr wohl. Ich fand hier alles, was ich brauchte.

Ich hatte nichts von Eurer Huld verdient,[171]

Und Ihr besorgtet mich, gleich einer Tochter.

Wenn irgend etwas mir die Ruhe störte

So war es dies beschämende Gefühl;

Doch ich bedurfte nur den Augenblick,

Um diesen Streit in meiner Brust zu lösen.


Sie wendet sich zum Grafen.


Wie steht's mit Eurer linken Hand, Graf Friedrich?

DER GRAF VOM STRAHL.

Mit meiner Hand? mein Fräulein! Diese Frage,

Ist mir empfindlicher als ihre Wunde!

Der Sattel war's, sonst nichts, an dem ich mich

Unachtsam stieß, Euch hier vom Pferde hebend.

GRÄFIN.

Ward sie verwundet? – Davon weiß ich nichts.

KUNIGUNDE.

Es fand sich, als wir dieses Schloß erreichten,

Daß ihr, in hellen Tropfen, Blut entfloß.

DER GRAF VOM STRAHL.

Die Hand selbst, seht Ihr, hat es schon vergessen.

Wenn's Freiburg war, dem ich im Kampf um Euch,

Dies Blut gezahlt, so kann ich wirklich sagen:

Schlecht war der Preis, um den er Euch verkauft.

KUNIGUNDE.

Ihr denkt von seinem Werte so – nicht ich.


Indem sie sich zur Mutter wendet.


– Doch wie? Wollt Ihr Euch, Gnädigste, nicht setzen?


Sie holt einen Stuhl, der Graf bringt die andern. Sie lassen sich sämtlich nieder.


GRÄFIN.

Wie denkt Ihr, über Eure Zukunft, Fräulein?

Habt Ihr die Lag, in die das Schicksal Euch

Versetzt, bereits erwogen? Wißt Ihr schon,

Wie Euer Herz darin sich fassen wird?

KUNIGUNDE bewegt.

Verehrungswürdige und gnäd'ge Gräfin,

Die Tage, die mir zugemessen, denk ich

In Preis und Dank, in immer glühender

Erinnrung dess', was jüngst für mich geschehn,

In unauslöschlicher Verehrung Eurer,

Und Eures Hauses, bis auf den letzten Odem,[172]

Der meine Brust bewegt, wenn's mir vergönnt ist,

In Thurneck bei den Meinen hinzubringen.


Sie weint.


GRÄFIN.

Wann denkt Ihr zu den Euren aufzubrechen?

KUNIGUNDE.

Ich wünsche – weil die Tanten mich erwarten,

– Wenn's sein kann, morgen, – oder mindestens –

In diesen Tagen, abgeführt zu werden.

GRÄFIN.

Bedenkt Ihr auch, was dem entgegensteht?

KUNIGUNDE.

Nichts mehr, erlauchte Frau, wenn Ihr mir nur

Vergönnt, mich offen vor Euch zu erklären.


Sie küßt ihr die Hand; steht auf und holt die Papiere.


Nehmt dies von meiner Hand, Herr Graf vom Strahl.

DER GRAF VOM STRAHL steht auf.

Mein Fräulein! Kann ich wissen, was es ist?

KUNIGUNDE.

Die Dokumente sind's, den Streit betreffend,

Um Eure Herrschaft Stauffen, die Papiere

Auf die ich meinen Anspruch gründete.

DER GRAF VOM STRAHL.

Mein Fräulein, Ihr beschämt mich, in der Tat!

Wenn dieses Heft, wie Ihr zu glauben scheint,

Ein Recht begründet: weichen will ich Euch,

Und wenn es meine letzte Hütte gälte!

KUNIGUNDE.

Nehmt, nehmt, Herr Graf vom Strahl! Die Briefe sind

Zweideutig, seh ich ein, der Wiederkauf,

Zu dem sie mich berechtigen, verjährt;

Doch wär mein Recht so klar auch, wie die Sonne,

Nicht gegen Euch mehr kann ich's geltend machen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Niemals, mein Fräulein, niemals, in der Tat!

Mit Freuden nehm ich, wollt Ihr mir ihn schenken,

Von Euch den Frieden an; doch, wenn auch nur

Der Zweifel eines Rechts auf Stauffen Euer,

Das Dokument nicht, das ihn Euch belegt!

Bringt Eure Sache vor, bei Kaiser und bei Reich,

Und das Gesetz entscheide, wer sich irrte.[173]

KUNIGUNDE zur Gräfin.

Befreit denn Ihr, verehrungswürd'ge Gräfin,

Von diesen leid'gen Dokumenten mich,

Die mir in Händen brennen, widerwärtig

Zu dem Gefühl, das mir erregt ist, stimmen,

Und mir auf Gottes weiter Welt zu nichts mehr,

Lebt ich auch neunzig Jahre, helfen können.

GRÄFIN steht gleichfalls auf.

Mein teures Fräulein! Eure Dankbarkeit

Führt Euch zu weit. Ihr könnt, was Eurer ganzen

Familie angehört, in einer flüchtigen

Bewegung nicht, die Euch ergriff, veräußern.

Nehmt meines Sohnes Vorschlag an und laßt

In Wetzlar die Papiere untersuchen;

Versichert Euch, Ihr werdet wert uns bleiben,

Man mag auch dort entscheiden, wie man wolle.

KUNIGUNDE mit Affekt.

Nun denn, der Anspruch war mein Eigentum!

Ich brauche keinen Vetter zu befragen,

Und meinem Sohn vererb ich einst mein Herz!

Die Herrn in Wetzlar mag ich nicht bemühn:

Hier diese rasche Brust entscheidet so!


Sie zerreißt die Papiere und läßt sie fallen.


GRÄFIN.

Mein liebes, junges, unbesonnes Kind,

Was habt Ihr da getan? – – Kommt her,

Weil's doch geschehen ist, daß ich Euch küsse.


Sie umarmt sie.


KUNIGUNDE.

Ich will daß dem Gefühl, das mir entflammt,

Im Busen ist, nichts fürder widerspreche!

Ich will, die Scheidewand soll niedersinken,

Die zwischen mir und meinem Retter steht!

Ich will mein ganzes Leben ungestört,

Durchatmen, ihn zu preisen, ihn zu lieben.

GRÄFIN gerührt.

Gut, gut, mein Töchterchen. Es ist schon gut,

Ihr seid zu sehr erschüttert.[174]

DER GRAF VOM STRAHL.

– Ich will wünschen,

Daß diese Tat Euch nie gereuen möge.


Pause.


KUNIGUNDE trocknet sich die Augen.

Wann darf ich nun nach Thurneck wiederkehren?

GRÄFIN.

Gleich! Wann Ihr wollt! Mein Sohn selbst wird

Euch führen!

KUNIGUNDE.

So sei's – auf morgen denn!

GRÄFIN.

Gut! Ihr begehrt es.

Obschon ich gern Euch länger bei mir sähe. –

Doch heut bei Tisch noch macht Ihr uns die Freude?

KUNIGUNDE verneigt sich.

Wenn ich mein Herz kann sammeln, wart ich auf.


Ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 171-175.
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