Zweite Szene

[131] Warwand. Zimmer im Schlosse. Sylvester auf einem Stuhle, mit Zeichen der Ohnmacht, die nun vorüber. Um ihn herum Jeronimus, Theistiner, Gertrude und ein Diener.


GERTRUDE.

Nun, er erholt sich, Gott sei Dank. –

SYLVESTER.

Gertrude –

GERTRUDE.

Sylvester, kennst du mich, kennst du mich wieder?[131]

SYLVESTER.

Mir ist so wohl, wie bei dem Eintritt in

Ein andres Leben.

GERTRUDE.

Und an seiner Pforte

Stehn deine Engel, wir, die Deinen, liebreich

Dich zu empfangen.

SYLVESTER.

Sage mir, wie kam

Ich denn auf diesen Stuhl? Zuletzt, wenn ich

Nicht irre, stand ich – nicht?

GERTRUDE.

Du sankest stehend

In Ohnmacht.

SYLVESTER.

Ohnmacht? Und warum denn das?

So sprich doch. – Wie, was ist dir denn? Was ist

Euch denn?


Er sieht sich um; lebhaft.


Fehlt Agnes? Ist sie tot?

GERTRUDE.

O nein,

O nein, sie ist in ihrem Garten.

SYLVESTER.

Nun,

Wovon seid ihr denn alle so besessen?

Gertrude sprich. – Sprich du, Theistiner. – Seid

Ihr stumm, Theistin, Jero – – Jeronimus!

Ja so – ganz recht – nun weiß ich. –

GERTRUDE.

Komm ins Bette,

Sylvester, dort will ich's dir schon erzählen.

SYLVESTER.

Ins Bett? O pfui! bin ich denn – sage mir,

Bin ich in Ohnmacht wirklich denn gefallen?

GERTRUDE.

Du weißt ja, wie du sagst, sogar warum?

SYLVESTER.

Wüßt ich's? O pfui! O pfui! Ein Geist ist doch

Ein elend Ding.

GERTRUDE.

Komm nur ins Bett, Sylvester,

Dein Leib bedarf der Ruhe.

SYLVESTER.

Ja, 's ist wahr,

Mein Leib ist doch an allem schuld.

GERTRUDE.

So komm.

SYLVESTER.

Meinst du, es wäre nötig?

GERTRUDE.

Ja, durchaus

Mußt du ins Bette.[132]

SYLVESTER.

Dein Bemühen

Beschämt mich. Gönne mir zwei Augenblicke,

So mach ich alles wieder gut, und stelle

Von selbst mich her.

GERTRUDE.

Zum mindsten nimm die Tropfen

Aus dem Tirolerfläschchen, das du selbst

Stets als ein heilsam Mittel mir gepriesen.

SYLVESTER.

An eigne Kraft glaubt doch kein Weib, und traut

Stets einer Salbe mehr zu als der Seele.

GERTRUDE.

Es wird dich stärken, glaube mir. –

SYLVESTER.

Dazu

Braucht's nichts als mein Bewußtsein.


Er steht auf.


Was mich freut,

Ist, daß der Geist doch mehr ist, als ich glaubte,

Denn flieht er gleich auf einen Augenblick,

An seinen Urquell geht er nur, zu Gott,

Und mit Heroenkraft kehrt er zurück.

Theistiner! 's ist wohl viele Zeit nicht zu

Verlieren. – Gertrud! Weiß er's?

GERTRUDE.

Ja.

SYLVESTER.

Du weißt's? Nun, sprich,

Was meinst du, 's ist doch wohl ein Bubenstück?

's ist wohl kein Zweifel mehr, nicht wahr?

THEISTINER.

In Warwand

Ist keiner, der's bezweifelt, ist fast keiner,

Der's, außer dir, nicht hätt vorhergesehen,

Wie's enden müsse, sei es früh, sei's spät.

SYLVESTER.

Vorhergesehen? Nein, das hab ich nicht.

Bezweifelt? Nein, das tu ich auch nicht mehr.

– Und also ist's den Leuten schon bekannt?

THEISTINER.

So wohl, daß sie das Haupt sogar besitzen,

Das dir die Nachricht her aus Rossitz brachte.

SYLVESTER.

Wie meinst du das? Der Herold wär noch hier?

THEISTINER.

Gesteinigt, ja.

SYLVESTER.

Gesteiniget?

THEISTINER.

Das Volk[133]

War nicht zu bändigen. Sein Haupt ist zwischen

Den Eulen an den Torweg festgenagelt.

SYLVESTER.

Unrecht ist's,

Theistin, mit deinem Haupt hättst du das seine,

Das heilige, des Herolds, schützen sollen.

THEISTINER.

Mit Unrecht tadelst du mich, Herr, ich war

Ein Zeuge nicht der Tat, wie du wohl glaubst.

Zu seinem Leichnam kam ich – diesen hier,

Jeronimus, war's just noch Zeit zu retten.

SYLVESTER.

– Ei nun, sie mögen's niederschlucken. Das

Geschehne muß stets gut sein, wie es kann.

Ganz rein, seh ich wohl ein, kann's fast nicht abgehn,

Denn wer das Schmutz'ge anfaßt, den besudelt's.

Auch, find ich, ist der Geist von dieser Untat

Doch etwas wert, und kann zu mehr noch dienen.

Wir wollen's nützen. Reite schnell ins Land,

Die sämtlichen Vasallen biete auf,

Sogleich sich in Person bei mir zu stellen,

Indessen will ich selbst von Männern, was

Hier in der Burg ist, sammeln, Reden braucht's

Nicht viel, ich stell mein graues Haupt zur Schau,

Und jedes Haar muß einen Helden werben.

Das soll den ersten Bubenanfall hemmen,

Dann, sind wir stärker, wenden wir das Blatt,

In seiner Höhle suchen wir den Wolf,

Es kann nicht fehlen, glaube mir's, es geht

Für alles ja, was heilig ist und hehr,

Für Tugend, Ehre, Weib und Kind und Leben.

THEISTINER.

So geh ich, Herr, noch heut vor Abend sind

Die sämtlichen Vasallen hier versammelt.

SYLVESTER.

's ist gut.


Theistiner ab.


Franziskus, rufe mir den Burgvogt.

– Noch eins. Die beiden Waffenschmiede bringe

Gleich mit.


Der Diener ab.

Zu Jeronimus.


Dir ist ein Unglimpf widerfahren,

Jeronimus, das tut mir leid. Du weißt ich war[134]

Im eigentlichsten Sinn nicht gegenwärtig.

Die Leute sind mir gut, du siehst's, es war

Ein mißverstandner Eifer bloß der Treue.

Drum mußt du's ihnen schon verzeihn. Fürs Künft'ge

Versprech ich, will ich sorgen. Willst du fort

Nach Rossitz, kannst du's gleich, ich gebe dir

Zehn Reis'ge zur Begleitung mit.

Ich kann's

Nicht leugnen fast, daß mir der Unfall lieb,

Versteh mich, bloß weil er dich hier verweilte,

Denn sehr unwürdig hab ich mich gezeigt,

– Nein, sage nichts. Ich weiß das. Freilich mag

Wohl mancher sinken, weil er stark ist. Denn

Die kranke abgestorbne Eiche steht

Dem Sturm, doch die gesunde stürzt er nieder,

Weil er in ihre Krone greifen kann.

– Nicht jeden Schlag ertragen soll der Mensch,

Und welchen Gott faßt, denk ich, der darf sinken,

– Auch seufzen. Denn der Gleichmut ist die Tugend

Nur der Athleten. Wir, wir Menschen fallen

Ja nicht für Geld, auch nicht zur Schau. – Doch sollen

Wir stets des Anschauns würdig aufstehn.

Nun

Ich halte dich nicht länger. Geh nach Rossitz

Zu deinen Freunden, die du dir gewählt.

Denn hier in Warwand, wie du selbst gefunden,

Bist du seit heute nicht mehr gern gesehn.

JERONIMUS.

– Hast recht, hast recht – bin's nicht viel besser wert,

Als daß du mir die Türe zeigst. – Bin ich

Ein Schuft in meinen Augen doch, um wie

Viel mehr in deinen. – Zwar ein Schuft, wie du

Es meinst, der bin ich nicht. – Doch kurz und gut

Glaubt was ihr wollt. Ich kann mich nicht entschuld'gen,

Mir lähmt's die Zung, die Worte wollen, wie

Verschlagne Kinder, nicht ans Licht. – Ich gehe,[135]

Nur soviel sag ich dir, ich gehe nicht

Nach Rossitz, hörst du? Und noch eins. Wenn du

Mich brauchen kannst, so sag's, ich laß mein Leben

Für dich, hörst du, mein Leben.


Ab.


GERTRUDE.

Hör, Jerome!

– Da geht er hin. – Warum riefst du ihm nicht?

SYLVESTER.

Verstehst du was davon, so sag es mir.

Mir ist's noch immer wie ein Traum.

GERTRUDE.

Ei nun,

Er war gewonnen von den Rossitzschen.

Denn in dem ganzen Gau ist wohl kein Ritter,

Den sie, wenn's ging, uns auf den Hals nicht hetzten.

SYLVESTER.

Allein Jeronimus! – Ja, wär's ein andrer,

So wollt ich's glauben, doch Jeronimus!

's ist doch so leicht nicht, in dem Augenblick

Das Werk der Jahre, Achtung, zu zerstören.

GERTRUDE.

O 's ist ein teuflischer Betrug, der mich,

Ja dich mißtrauisch hätte machen können.

SYLVESTER.

Mich selbst? Mißtrauisch gegen mich? Nun laß

Doch hören.

GERTRUDE.

Ruperts jüngster Sohn ist wirklich

Von deinen Leuten im Gebirg erschlagen.

SYLVESTER.

Von meinen Leuten?

GERTRUDE.

O das ist bei weitem

Das Schlimmste nicht. Der eine hat's sogar

Gestanden, du hättst ihn zu Mord gedungen.

SYLVESTER.

Gestanden hätt er das?

GERTRUDE.

Ja, auf der Folter,

Und ist zwei Augenblicke drauf verschieden.

SYLVESTER.

Verschieden? – Und gestanden? – Und im Tode,

Wär auch das Leben voll Abscheulichkeit,

Im Tode ist der Mensch kein Sünder. – Wer

Hat's denn gehört, daß er's gestanden?

GERTRUDE.

Ganz Rossitz. Unter Volkes Augen, auf

Dem öffentlichen Markt ward er gefoltert.

SYLVESTER.

Und wer hat dir das mitgeteilt?[136]

GERTRUDE.

Jerome,

Er hat sich bei dem Volke selbst erkundigt.

SYLVESTER.

– Nein, das ist kein Betrug, kann keiner sein.

GERTRUDE.

Um Gotteswillen, was denn sonst?

SYLVESTER.

Bin ich

Denn Gott, daß du mich frägst?

GERTRUDE.

Ist's keiner, so

O Himmel! fällt ja der Verdacht auf uns.

SYLVESTER.

Ja, allerdings fällt er auf uns.

GERTRUDE.

Und wir,

Wir müßten uns dann reinigen?

SYLVESTER.

Kein Zweifel,

Wir müssen es, nicht sie.

GERTRUDE.

O du mein Heiland,

Wie ist das möglich?

SYLVESTER.

Möglich? Ja, das wär's,

Wenn ich nur Rupert sprechen könnte.

GERTRUDE.

Wie?

Das könntest du dich jetzt getraun, da ihn

Des Herolds Tod noch mehr erbittert hat.

SYLVESTER.

's ist freilich jetzt weit schlimmer. – Doch es ist

Das einz'ge Mittel, das ergreift sich leicht.

– Ja recht, so geht's. – Wo mag Jerome sein?

Ob er noch hier? Der mag mich zu ihm führen.

GERTRUDE.

O mein Gemahl, o folge meinem Rate. –

SYLVESTER.

Gertrude. – Laß mich – das verstehst du nicht.


Beide ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 131-137.
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