Fünfte Szene

[189] Rossitz. Ein Gefängnis im Turm.

Die Tür öffnet sich, Fintenring tritt auf.


OTTOKAR noch draußen.

Mein Vater hat's befohlen?

FINTENRING.

In der eigenen

Person, du möchtest gleich bei deinem Eintritt

Ins Tor uns folgen nur, wohin wir dich

Zu führen haben. Komm, du alter Junge,

Komm h'rein.

OTTOKAR.

Hör, Fintenring, du bist mit deinem

Satyrngesicht verdammt verdächtig mir.

Nun, weil ich doch kein Mädchen, will ich's tun.


Er tritt auf, der Kerkermeister folgt ihm.


FINTENRING.

Der Ort ist, siehst du, der unschuldigste.

Denn hier auf diesen Quadersteinen müßt's

Selbst einen Satyr frieren.

OTTOKAR.

Statt der Rosen

Will er mit Ketten mich und Banden mich

Umwinden – denn die Grotte, merk ich wohl,

Ist ein Gefängnis.

FINTENRING.

Hör, das gibt vortreffliche

Gedanken, morgen, wett ich, ist dein Geist

Fünf Jahre älter, als dein Haupt.

OTTOKAR.

Wär ich

Wie du, ich nähm es an. Denn deiner straft

Dein graues Haupt um dreißig Jahre Lügen.

– Nun komm, ich muß zum Vater.

FINTENRING tritt ihm in den Weg.

Nein, im Ernst,

Bleib hier, und sei so lustig, wie du kannst.

OTTOKAR.

Bei meinem Leben, ja, das bin ich nie

Gewesen so wie jetzt, und möchte dir

Die zähnelosen Lippen küssen, Alter.[189]

Du gehst auch gern nicht in den Krieg, nun höre,

Sag deinem Weibe nur, ich bring den Frieden.

FINTENRING.

Im Ernste?

OTTOKAR.

Bei meinem Leben, ja.

FINTENRING.

Nun morgen

Mehr. Lebe wohl.


Zum Kerkermeister.


Verschließe hinter mir

Sogleich die Türe.


Zu Ottokar, da dieser ihm folgen will.


Nein, bei meinem Eid

Ich sag dir, auf Befehl des Vaters bist

Du ein Gefangner.

OTTOKAR.

Was sagst du?

FINTENRING.

Ich soll

Dir weiter gar nichts sagen, außer dies.

OTTOKAR.

Nun?

FINTENRING.

Ei, daß ich nichts sagen soll.

OTTOKAR.

O bei

Dem großen Gott des Himmels, sprechen muß

Ich gleich ihn – eine Nachricht von dem höchsten

Gewicht, die keinen Aufschub duldet, muß

Ich mündlich gleich ihm hinterbringen.

FINTENRING.

So

Kannst du dich trösten mindestens, er ist

Mit Santing fort, es weiß kein Mensch wohin.

OTTOKAR.

Ich muß sogleich ihn suchen, laß mich. –

FINTENRING tritt ihm in den Weg.

Ei

Du scherzest wohl.

OTTOKAR.

Nein laß mich, nein, ich scherze

Bei meiner Ritterehre nicht mit deiner.

's ist plötzlich mir so ernst zu Mut geworden,

Als wäre ein Gewitter in der Luft.

Es hat die höchste Eil mit meiner Nachricht,

Und läßt du mich gutwillig nicht, so wahr

Ich leb, ich breche durch.

FINTENRING.

Durchbrechen, du?[190]

Sprichst doch mit mir gleich wie mit einem Weibe!

Du bist mir anvertraut auf Haupt und Ehre,

Tritt mich mit Füßen erst, dann bist du frei.

– Nein, hör, ich wüßte was Gescheuteres.

Gedulde dich ein Stündchen, führ ich selbst

Sobald er rückkehrt deinen Vater zu dir.

OTTOKAR.

Sag mir um 's Himmels willen nur, was hab

Ich Böses denn getan?

FINTENRING.

Weiß nichts. – Noch mehr.

Ich schick dem Vater Boten nach, daß er

So früher heimkehrt.

OTTOKAR.

Nun denn, meinetwegen.

FINTENRING.

So lebe wohl.


Zum Kerkermeister.


Und du tust deine Pflicht.


Fintenring und der Kerkermeister ab; die Tür wird verschlossen.


OTTOKAR sieht ihnen nach.

Ich hätte doch nicht bleiben sollen. – Gott

Weiß, wann der Vater wiederkehrt. – Sie wollten

Ihn freilich suchen. – Ach, es treibt der Geist

Sie nicht, der alles leistet. – – Was zum Henker,

Es geht ja nicht, ich muß hinaus, ich habe

Ja Agnes ins Gebirg beschieden. – Fintenring!

Fintenring!


An die Türe klopfend.


Daß ein Donner, Tauber, das

Gehör dir öffnete! Fintenring! – – Schloß

Von einem Menschen, den kein Schlüssel schließt,

Als nur sein Herr. Dem dient er mit stockblinder

Dienstfertigkeit, und wenn sein Dienst auch zehnmal

Ihm Schaden brächt, doch dient er ihm. – Ich wollt

Ihn doch gewinnen, wenn er nur erschiene.

Denn nichts besticht ihn, außer daß man ihm

Das sagt. – – Zum mindsten wollt ich ihn doch eher

Gewinnen, als die tauben Wände! Himmel

Und Hölle! Daß ich einem Schäfer gleich[191]

Mein Leid den Felsen klagen muß! – – So will

Ich mich, Geduld, an dir, du Weibertugend üben.

– 's ist eine schnöde Kunst, mit Anstand viel

Zu unterlassen – und ich merk es schon,

Es wird mehr Schweiß mir kosten, als das Tun.


Er will sich setzen.


Horch! Horch! Es kommt.


Der Kerkermeister öffnet Eustachen die Türe.


EUSTACHE zu diesem.

Ich werd es dir vergelten.

OTTOKAR.

Ach, Mutter!

EUSTACHE.

Hör, mein Sohn, ich habe dir

Entsetzliches zu sagen.

OTTOKAR.

Du erschreckst mich –

– Wie bist du so entstellt?

EUSTACHE.

Das eine wirst

Du wissen schon, Jerome ist erschlagen.

OTTOKAR.

Jeronimus? O Gott des Himmels! Wer

Hat das getan?

EUSTACHE.

Das ist nicht alles. Rupert

Kennt deine Liebe. –

OTTOKAR.

Wie? Wer konnt ihm die

Entdecken?

EUSTACHE.

Frage nicht – o deine Mutter,

Ich selbst. Jerome hat es mir vertraut,

Mich riß ein übereilter Eifer hin,

Der Wütrich, den ich niemals so gekannt –

OTTOKAR.

Von wem sprichst du?

EUSTACHE.

O Gott, von deinem Vater.

OTTOKAR.

Noch faß ich dich nur halb – doch laß dir sagen

Vor allen Dingen, alles ist gelöset,

Das ganze Rätsel von dem Mord, die Männer,

Die man bei Peters Leiche fand, sie haben

Die Leiche selbst gefunden, ihr die Finger

Aus Vorurteil nur abgeschnitten. – Kurz,

Rein, wie die Sonne, ist Sylvester.[192]

EUSTACHE.

O

Jesus! Und jetzt erschlägt er seine Tochter. –

OTTOKAR.

Wer?

EUSTACHE.

Rupert. Wenn sie in dem Gebirge jetzt,

Ist sie verloren, er und Santing sucht sie.

OTTOKAR eilt zur Türe.

Fintenring! Fintenring! Fintenring!

EUSTACHE.

Höre

Mich an, er darf dich nicht befrein, sein Haupt

Steht drauf. –

OTTOKAR.

Er oder ich. – Fintenring!


Er sieht sich um.


Nun

So helfe mir die Mutter Gottes denn. –


Er hängt einen Mantel um, der auf dem Boden lag.


Und dieser Mantel bette meinem Fall.


Er klettert in ein unvergittert Fenster.


EUSTACHE.

Um Gotteswillen, springen willst du doch

Von diesem Turm nicht? Rasender! Der Turm

Ist funfzig Fuß hoch, und der ganze Boden

Gepflastert. – Ottokar! Ottokar!

OTTOKAR von oben.

Mutter! Mutter! Sei wenn ich gesprungen

Nur still, hörst du? Ganz still, sonst fangen sie

Mich.

EUSTACHE sinkt auf die Knie.

Ottokar! Auf meinen Knien bitte,

Beschwör ich dich, geh so verächtlich nicht

Mit deinem Leben um, spring nicht vom Turm. –

OTTOKAR.

Das Leben ist viel wert, wenn man's verachtet.

Ich brauch's. – Leb wohl.


Er springt.


EUSTACHE steht auf.

Zu Hülfe! Hülfe! Hülfe!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 189-193.
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