Sechzehnter Auftritt

[335] Childerich tritt auf, eine Bärin an einer Kette führend. Die Vorigen.


CHILDERICH.

Heda! Seid Ihr's, Frau Gertrud?

GERTRUD steht auf.

Gott im Himmel!

Da naht der Allzupünktliche sich schon!

CHILDERICH.

Hier ist die Bärin!

GERTRUD.

Wo?

CHILDERICH.

Seht Ihr sie nicht?

GERTRUD.

Du hast sie an der Kette, will ich hoffen?

CHILDERICH.

An Kett und Koppel. – Ach, so habt Euch doch![335]

Wenn ich dabei bin, müßt Ihr wissen,

Ist sie so zahm, wie eine junge Katze.

GERTRUD.

Gott möge ewig mich vor ihr bewahren! –

's ist gut, bleib mir nur fern, hier ist der Schlüssel,

Tu sie hinein und schleich dich wieder weg.

CHILDERICH.

Dort in den Park?

GERTRUD.

Ja, wie ich dir gesagt.

CHILDERICH.

Mein Seel ich hoff, solang die Bärin drin,

Wird niemand anders sich der Pforte nahn?

GERTRUD.

Kein Mensch, verlaß dich drauf! Es ist ein Scherz nur,

Den meine Frau sich eben machen will.

CHILDERICH.

Ein Scherz?

GERTRUD.

Ja, was weiß ich?

CHILDERICH.

Was für ein Scherz?

GERTRUD.

Ei, so frag du –! Fort! In den Park hinein!

Ich kann das Tier nicht mehr vor Augen sehn!

CHILDERICH.

Nun, bei den Elfen, hört; nehmt Euch in acht!

Die Petze hat, wie Ihr befahlt,

Nun seit zwölf Stunden nichts gefressen;

Sie würde Witz, von grimmiger Art, Euch machen,

Wenn's Euch gelüsten sollte, sie zu necken.


Er läßt die Bärin in den Park und schließt ab.


GERTRUD.

Fest!

CHILDERICH.

Es ist alles gut.

GERTRUD.

Ich sage, fest!

Den Riegel auch noch vor, den eisernen!

CHILDERICH.

Ach, was! Sie wird doch keine Klinke drücken?

– Hier ist der Schlüssel!

GERTRUD.

Gut, gib her! –

Und nun entfernst du dich, in das Gebüsch,

Doch so, daß wir sogleich dich rufen können. –


Childerich geht ab.


Schirmt, all ihr guten Götter, mich!

Da schleicht der Unglücksel'ge schon heran![336]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 335-337.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Hermannsschlacht
Die Hermannsschlacht
Die Hermannsschlacht: In einer Bearbeitung von Rudolph Genée. Mit Erläuterungen von Alfred Heil
Hermannsschlacht: Ein Gedicht Auf Ã-sterreich (German Edition)

Buchempfehlung

Jean Paul

Flegeljahre. Eine Biographie

Flegeljahre. Eine Biographie

Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.

386 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon