Zweiter Auftritt

[412] Prinzessin Natalie tritt auf. – Zwei Hofdamen und der Rittmeister, Graf Reuß, folgen.


NATALIE eilfertig.

Was bringt Ihr, Graf? – Von meinem Regiment?

Ist's von Bedeutung? Kann ich's morgen hören?

GRAF REUSS überreicht ihr ein Schreiben.

Ein Brief vom Obrist Kottwitz, gnäd'ge Frau!

NATALIE.

Geschwind! Gebt! Was enthält er?


Sie eröffnet ihn.


GRAF REUSS.

Eine Bittschrift,

Freimütig wie Ihr seht, doch ehrfurchtsvoll,

An die Durchlaucht des Herrn, zu unsers Führers,

Des Prinz von Homburg, Gunsten aufgesetzt.

NATALIE liest.

»Supplik, in Unterwerfung eingereicht,

Vom Regiment, Prinzessin von Oranien.« –


Pause.


Die Bittschrift ist von wessen Hand verfaßt?

GRAF REUSS.

Wie ihrer Züg unsichre Bildung schon

Erraten läßt, vom Obrist Kottwitz selbst. –

Auch steht sein edler Name obenan.

NATALIE.

Die dreißig Unterschriften, welche folgen –?

GRAF REUSS.

Der Offiziere Namen, Gnädigste,

Wie sie, dem Rang nach, Glied für Glied, sich folgen.[412]

NATALIE.

Und mir, mir wird die Bittschrift zugefertigt?

GRAF REUSS.

Mein Fräulein, untertänigst Euch zu fragen,

Ob Ihr, als Chef, den ersten Platz, der offen,

Mit Eurem Namen gleichfalls füllen wollt.


Pause.


NATALIE.

Der Prinz zwar, hör ich, soll, mein edler Vetter,

Vom Herrn aus eignem Trieb, begnadigt werden,

Und eines solchen Schritts bedarf es nicht.

GRAF REUSS vergnügt.

Wie? Wirklich?

NATALIE.

Gleichwohl will ich unter einem Blatte,

Das, in des Herrn Entscheidung, klug gebraucht,

Als ein Gewicht kann in die Waage fallen,

Das ihm vielleicht, den Ausschlag einzuleiten,

Sogar willkommen ist, mich nicht verweigern –

Und, eurem Wunsch gemäß, mit meinem Namen,

Hiemit an eure Spitze setz ich mich.


Sie geht und will schreiben.


GRAF REUSS.

Fürwahr, uns lebhaft werdet Ihr verbinden!


Pause.


NATALIE wendet sich wieder zu ihm.

Ich finde nur mein Regiment, Graf Reuß!

Warum vermiß ich Bomsdorf Cuirassiere,

Und die Dragoner Götz und Anhalt-Pleß?

GRAF REUSS.

Nicht, wie vielleicht Ihr sorgt, weil ihre Herzen

Ihm lauer schlügen, als die unsrigen! –

Es trifft ungünstig sich für die Supplik,

Daß Kottwitz fern in Arnstein kantoniert,

Gesondert von den andern Regimentern,

Die hier bei dieser Stadt, im Lager stehn.

Dem Blatt fehlt es an Freiheit, leicht und sicher,

Die Kraft, nach jeder Richtung zu entfalten.

NATALIE.

Gleichwohl fällt, dünkt mich, so das Blatt nur leicht? –[413]

Seid Ihr gewiß, Herr Graf, wärt Ihr im Ort,

Und sprächt die Herrn, die hier versammelt sind,

Sie schlössen gleichfalls dem Gesuch sich an?

GRAF REUSS.

Hier in der Stadt, mein Fräulein? – Kopf für Kopf!

Die ganze Reuterei verpfändete

Mit ihren Namen sich; bei Gott, ich glaube,

Es ließe glücklich eine Subskription,

Beim ganzen Heer der Märker, sich eröffnen!

NATALIE nach einer Pause.

Warum nicht schickt ihr Offiziere ab,

Die das Geschäft im Lager hier betreiben?

GRAF REUSS.

Vergebt! – Dem weigerte der Obrist sich!

– Er wünsche, sprach er, nichts zu tun, das man

Mit einem übeln Namen taufen könnte.

NATALIE.

Der wunderliche Herr! Bald kühn, bald zaghaft! –

Zum Glück trug mir der Kurfürst, fällt mir ein,

Bedrängt von anderen Geschäften, auf,

An Kottwitz, dem die Stallung dort zu eng,

Zum Marsch hierher die Ordre zu erlassen! –

Ich setze gleich mich nieder es zu tun.


Sie setzt sich und schreibt.


GRAF REUSS.

Beim Himmel, trefflich, Fräulein! Ein Ereignis,

Das günst'ger sich dem Blatt nicht treffen könnte!

NATALIE während sie schreibt.

Gebraucht's Herr Graf von Reuß, so gut Ihr könnt.


Sie schließt, und siegelt, und steht wieder auf.


Inzwischen bleibt, versteht, dies Schreiben noch,

In Eurem Portefeuille; Ihr geht nicht eher

Damit nach Arnstein ab, und gebt's dem Kottwitz:

Bis ich bestimmtern Auftrag Euch erteilt!


Sie gibt ihm das Schreiben.


EIN HEIDUCK tritt auf.

Der Wagen, Fräulein, auf des Herrn Befehl,

Steht angeschirrt im Hof und wartet Euer![414]

NATALIE.

So fahrt ihn vor! Ich komme gleich herab!


Pause, in welcher sie gedankenvoll an den Tisch tritt, und ihre Handschuh anzieht.


Wollt Ihr zum Prinz von Homburg mich, Herr Graf,

Den ich zu sprechen willens bin, begleiten?

Euch steht ein Platz in meinem Wagen offen.

GRAF REUSS.

Mein Fräulein, diese Ehre, in der Tat –!


Er bietet ihr den Arm.


NATALIE zu den Hofdamen.

Folgt, meine Freundinnen! – Vielleicht daß ich

Gleich, dort des Briefes wegen, mich entscheide!


Alle ab.


Szene: Gefängnis des Prinzen.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 412-415.
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