Anekdote

[354] Der Zar Iwan Basilowitz, mit dem Beinamen der Tyrann, ließ einem fremden Gesandten, der, nach der damaligen europäischen Etikette, mit bedecktem Haupte vor ihm erschien, den Hut auf den Kopf nageln. Diese Grausamkeit vermochte nicht den Botschafter der Königin Elisabeth von England, Sir Jeremias Bowes, abzuschrecken. Er hatte die Kühnheit, den Hut auf dem Kopfe, vor dem Zar zu erscheinen. Dieser fragte ihn, ob er nicht von der Strafe gehört hätte, die einem andern Gesandten widerfahren wäre, welcher sich eine solche Freiheit herausgenommen? »Ja, Herr«, erwiderte Bowes, »aber ich bin der Botschafter der Königin von England, die nie, vor irgendeinem Fürsten in der Welt, anders, wie mit bedecktem Haupte, erschienen ist. Ich bin ihr Repräsentant, und wenn mir die geringste Beleidigung widerfährt, so wird sie mich zu rächen wissen.« – »Das ist ein braver Mann«, sagte der Zar, indem er sich zu seinen Hofleuten wandte, »der für die Ehre seiner Monarchin zu handeln und zu reden versteht; wer von euch hätte das nämliche für mich getan?«

Hierauf wurde der Botschafter der Favorit des Zars. Diese Gunst zog ihm den Neid des Adels zu. Einer der Großen, der zuweilen den vertrauten Ton mit dem Monarchen annehmen durfte, beredete ihn, die Geschicklichkeit des Botschafters auf die Probe zu stellen. Man sagte nämlich, daß er ein sehr geschickter Reuter wäre. Nun wurde ihm, um den Beweis davon[354] zu führen, ein ungebändigtes sehr wildes Pferd vor dem Zar zu reiten gegeben, und man hoffte, daß Bowes zum wenigsten mit einer derben Lähmung das Kunststück bezahlen würde. Indessen widerfuhr der neidischen Eifersucht der Verdruß, sich betrogen zu sehn. Der brave Engländer bändigte nicht nur das Pferd, sondern er jagte es dermaßen zusammen, daß es kraftlos wieder heimgeführt wurde, und wenige Tage nachher krepierte. Dieses Abenteuer vermehrte den Kredit des Botschafters bei dem Zar, der ihm jederzeit nachher die ausgezeichnetsten Beweise seiner Huld widerfahren ließ.

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band3, Berlin und Weimar 1978, S. 354-355.
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